Montana Creeds - Soweit die Sehnsucht trägt (German Edition)
grinste. “Das kann man wohl sagen.”
“Was ist?”, fragte er, da ihm der selbstsichere Gesichtsausdruck seines Bruders missfiel.
“Dich hat’s schwer erwischt”, gab der zurück. “Du erinnerst mich an ein Reh, das erstarrt in ein Scheinwerferpaar schaut – oder an mich, als ich Briana zum ersten Mal sah.”
Dylan seufzte, während er im Mittelgang von Logans neuem Stall stand. “Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht,
was
mich erwischt hat. Es ist so ganz anders als damals, als ich das erste Mal mit Kristy zusammen war. Ich habe keine Ahnung, wo ich stehe und was ich tun soll.”
“Sei einfach für sie da, kleiner Bruder. Mehr kannst du nicht tun.”
Er musste das Thema wechseln, da es ihm die Luft zum Atmen nahm. “Lily ist unterwegs nach Missoula.”
“Das ist gut”, erwiderte Logan und wurde wieder nachdenklich.
Diesmal musste Dylan ihn nicht fragen, was ihm durch den Kopf ging, diesmal wusste er es. Seufzend fuhr er sich durchs Haar und begann zu reden: “Ich war damals verdammt sauer auf dich – damals, als Dad starb, bevor ich es ins Krankenhaus geschafft hatte. Und Tyler erging es nicht anders. Ich fand es einfach unmöglich, dass du bei ihm warst, ich dagegen nicht. Aber ich möchte, dass du weißt, dass es mir leidtut. Ich weiß, du konntest nichts dafür, dass ich mich nicht mehr von unserem alten Herrn verabschieden konnte.”
Logan drehte sich zu ihm um und legte eine Hand auf seine Schulter. Das blaue Auge, das Tyler ihm verpasst hatte, war fast vollständig verblasst. Äußerliche Wunden verheilten schnell, doch für innerliche Verletzungen galt das nicht.
“Danke”, sagte Logan mit leicht erstickter Stimme.
“Du hattest übrigens recht”, fuhr er fort, nachdem er so gut in Fahrt gekommen war. “Jake Creed war ein verdammter Mistkerl.”
Sein Bruder zog einen Mundwinkel hoch, vermutlich sollte es den Ansatz eines Grinsens darstellen. Anstelle einer Antwort nickte er nur.
“Die Sache ist die”, erklärte Dylan. “Er war mein Dad, und ich habe ihn trotz allem geliebt.”
“Ich auch”, stimmte Logan ihm traurig zu. Dann riss er sich aus seinen düsteren Gedanken und lachte auf. “Damals hätte ich ihn gegen jeden anderen Vater eingetauscht, aber heute … Jetzt würde ich ihn gern noch einmal wiedersehen, und wenn es nur für fünf Minuten wäre, damit ich ihm sagen könnte, dass ich ihn liebe – ob es ihm gefällt oder nicht.”
“Vielleicht weiß er das ja”, überlegte Dylan.
“Ja, vielleicht.”
Dann ging Logan ins Haus, um die Kiste mit den alten Briefen, Fotos und Tagebüchern zu holen, von der er Dylan erzählt hatte. Vermutlich wollte er bei der Gelegenheit Briana sagen, dass er bald zurück sein würde. Dylan wartete unterdessen auf der Veranda. Er beneidete seinen Bruder, auch wenn er sich gleichzeitig für ihn freute.
Docs Herzinfarkt war nicht die Art, wie eine Party enden sollte. Es machte Dylan zu schaffen, dass ein guter Freund von ihm dem Tod so nahe gekommen war.
Aber zu Hause wartete wenigstens Bonnie auf ihn.
Und heute Abend auch Kristy.
Das war weit besser als zu Rodeo-Zeiten, wenn er in irgendeinem Motel übernachtete, manchmal allein, manchmal mit einer Frau, die er danach nicht wiedergesehen hatte. Aber ob er allein schlief oder nicht: Er hatte sich jedes Mal einsam gefühlt, denn so schön und willig die meisten dieser Frauen gewesen waren, konnte keine von ihnen an Kristy Madison heranreichen.
Logan kam mit einer großen Kiste aus dem Haus. “Bereit?”, fragte er, als sei es das Normalste der Welt, dass zwei Brüder, die sich auf Teufel komm raus geprügelt und dann fünf Jahre lang einen Bogen umeinander gemacht hatten, Familienfotos austauschten.
Obwohl Dylan gar nichts mit ihm tauschen konnte. Logan hatte das Haupthaus geerbt, und damit offenbar auch die Geschichte der Creeds.
Auf dem Weg quer übers Land – so wie Dylan nahm Logan mit seinem Truck nie die Straße, wenn er stattdessen über ein freies Feld fahren konnte – saß Dylan auf dem Beifahrersitz und hielt die Plastikbox fest, während er überlegte, ob er sie tatsächlich öffnen wollte.
Was er über das Vermächtnis der Creeds wusste, eignete sich nicht gerade für Grußkarten.
Alles Gute zum Vatertag, Dad.
Na klar.
Er stellte sich vor, wie Logan, Tyler und er für ein Weihnachtsfoto Grimassen schnitten, das man normalerweise zusammen mit dem Jahresrückblicksbrief verschickte. Er konnte darunter sogar Jakes Handschrift sehen:
Meine momentane Ehefrau und ich
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