Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
kleine Freiheit, seine Arbeit zu machen, wann er will, vierzig Stunden in der Woche. Der andere, ein Techniker, ist mir als Korporal aus dem Militär bekannt und zu dieser Zeit froh, eine Stelle zu finden; auch wir duzen uns. Unsere Arbeit ist dringlich und schön, nämlich Entwurf, oft arbeite ich zu Hause in die Nacht hinein; zugleich empfinde ich es als unschicklich, wenn ich, jetzt als Boß, später als die andern an den Zeichentisch komme oder früherweggehe. Komme ich aber Punkt acht Uhr und stehe ich schon im weißen Zeichenmantel, wenn sie kommen, so wirkt es, als spiele ich den Aufseher; das stört mich auch. Gelegentlich muß ich zu Besprechungen; komme ich nach zwei Stunden zurück, so kann Kurt, der Hochschulfreund, kaum warten mit seinen Skizzen, die zeigen sollen, wie beflissen er arbeitet. Seine Vorschläge sind lausig, aber Einwände kränken ihn gar nicht, er ist willig, die Sache nochmals zu studieren. Der Bauzeichner, der andere, verhält sich still und immer stiller, bis er eines Tages seine Kündigung ausspricht. Wieso? Er will nicht einen höheren Lohn; es erbittert ihn nur, daß mein Hochschulfreund, kaum bin ich weg oder auch nur im anderen Zimmer, seine persönlichen Arbeiten vornimmt. Ich brauche nicht unter seinem Reißbrett nachzusehen; ich sehe es ja, was er mir vorlegt: Bluff mit weichem Stift, Skizzen, die in zehn Minuten zu machen sind, und wie er mir schmeichelt, wo er nur kann. Der andere, der Bauzeichner, ist der einzige Praktiker in meinem Laden, ein Gewissenhafter; er arbeitet für seinen Lohn, während der Diplom-Architekt, besser bezahlt, mich seit Monaten hintergeht, und das verdrießt ihn, das nimmt ihm jede Lust an seiner Gewissenhaftigkeit. Sein Name: Adam. Er wohnt in dem Haus, wo wir arbeiten. Eines Morgens, als ich wie üblich zur Arbeit komme, finde ich seine Frau wie eine Wahnsinnige, die mich packt: ICH BIN KEINE MÖRDERIN, HERR FRISCH, ICH BIN KEINE MÖRDERIN, SAGEN SIE, DASS ICH KEINE MÖRDERIN BIN ! und sie zeigt mir den Säugling. Das kleine Bett hat sie in der Nacht, um schlafen zu können, hinunter gestellt in mein Büro. Ein bläulicher Säugling. Erstickt. Ihr Mann, der Korporal, ist zu dieser Zeit beim Militär; ich muß es ihm mitteilen. Es trifft die Gewissenhaften. Es vergehen Wochen, bis ich den andern in ein Café bitte; ich brauche fast nichts zu sagen, sage bloß, daß wir etwas zu besprechen haben. Kündigung? Er nimmt sie an, bevor sie ausgesprochen ist und ohne nach meiner Begründung zu fragen; ich bin froh, daß ich den Grund nicht erwähnen muß, sonst könnte Kurt mir entgegnen: Genau das hast du ja als Angestellter auch gemacht, unter dem Reißbrett hast du an deinem Wettbewerb gezeichnet. Lange Zeit bleibt das Projekt auf dem Papier, Mangel an Zement in diesen Jahren, Mangel an Eisen, das der Krieg verbraucht. Ich beginne, zu dieser Zeit nicht vollbeschäftigt, wieder zu schreiben: Theater, damit sich etwas verkörperlicht. Schreiben am Feierabend. Ich will nicht ertappt werden dabei, daß ich im Büro etwas anderes treibe; nur für dringliche Einfälle liegt ein Zettel unter meinem Reißbrett. In fünfWochen das erste Stück, das zweite Stück in drei Wochen; das Schauspielhaus Zürich führt sie auf, es entgeht der Baubehörde nicht, daß ich also dichte. Einmal holt mich der Bauführer in seine Baracke, um mir etwas anzuvertrauen: ein Plan, unterzeichnet mit meinem Namen wie alle Pläne, hat einen argen Fehler im Ausmaß. DIE MASSE SIND AM BAU ZU KONTROLLIEREN , so der übliche Stempel auf jedem Plan; ich danke dem Bauführer, daß er den Fehler bemerkt hat, bevor die Bulldozer zuviel Erde ausgehoben haben, und sage, daß übrigens nicht mein Bauzeichner dran schuld ist; ich selber habe diesen Plan gezeichnet, nicht bloß unterschrieben, sondern selber gezeichnet. Das hätte ich nicht zu sagen brauchen. Das hat zur Folge, daß für den Rest der Bauzeit (zwei Jahre) dieser Bauführer nie zugibt, es sei ihm ein Fehler unterlaufen; es ist ausgemacht, wem hier die Fehler unterlaufen. Eine Zeitlang geht beides nebeneinander, der Bau und die Proben auf der Bühne. Um acht Uhr ins Büro; um zehn Uhr fahre ich ins Schauspielhaus zu den Proben, sitze als Laie im Parkett und höre. Wenn die Schauspieler nach Hause gehen, um Texte zu lernen, fahre ich zur Baustelle und sehe, wie sie den Sprungturm ausschalen, anderswo Platten verlegen, wie der Schreiner endlich seine Werkstattarbeit bringt und einpaßt. Da klappt nicht alles, sowenig wie bei den Proben
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