Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
bestürzt. Ich rede scheußlich und dumm, wie Jörg es nie von einem gestandenen Mann erwartet hätte. Was geht’s mich an, wieviele es vor mir gewußt haben? Ich bin bestürzt über mich; was denn sonst, wenn nicht meine Eitelkeit, hat mich genötigt, ein Geheimnis daraus zu machen, seit ich davon weiß, unser Geheimnis? Ich bin bestürzt über meine Eitelkeit. Warum sollte er, der Geliebte, seine Geschichte mit meiner Frau nicht dem einen und andern erzählen, bevor ich davon weiß? Es ist seine Geschichte.)
Die Bar ist kein Ort, um zu sprechen; zu laut, zu düster. Sie wollen nicht trinken. Man ist eigentlich nicht müde, nur erhitzt vom Pingpong; eine Dusche wäre willkommen. Plötzlich ist alles fragil; Melancholie der gemeinsamen Ortlosigkeit. Man müßte jetzt einen Einfall haben und hat ihn nicht. Lynn sagt:
IT WAS A BEAUTIFUL DAY !
In einer Woche tagt die Akademie in Berlin. Was macht Lynn heute in einer Woche? Das gibt kein Gespräch; ihre Pläne, seine Pläne. Eine Weile sitzen sie in der Loggia, Lynn in Pyjama mit Zotteljacke darüber; die nahe und immer wackere Brandung unter dem Flutlicht der Scheinwerfer; unterhalten können sie sich nur noch allgemein:
IST DIE EHE FÜR SIE NOCH EIN PROBLEM ?
Ich erinnere mich an eine Frau, die sich ihre zehn Finger am Verputz in der Toilette blutig gekratzt hat, nachdem ich meinen Ehebruch gestanden habe. Das Blut am Verputz habe ich am Abend bemerkt, ihre wunden Finger erst am andern Morgen. Ferner erinnere ich mich an eine Frau, die sich aus dem Bett aufrichtet, um ihren Mann in seiner Praxis anzurufen: aus einer Kabine, sagt sie, und ich höre weg, und eine gute Stunde später speisen wir zu dritt ...
Das Thema macht ihn nicht gesprächig.
Die Brandung unter dem Licht der Scheinwerfer ist nicht so laut, daß sie sich nicht unterhalten könnten. Sie schweigen jetzt trotzdem. Das Flutlicht reicht übrigens nicht weit hinaus; es zeigt drei Wellenkämme mit belichtetem Gischt, dahinter ist es schwarz, Nacht, kein Leuchtturm ist zu sehen, Nacht ohne Horizont. I AM FINE , sagt Lynn, als sie in der Loggia sitzt, IT IS NOT COLD AT ALL . Immerhin hat sie gern die Zotteljacke genommen, die er neulich nach dem Interview zum ersten Mal gehalten hat, dann auch eine weiße Wolldecke. Einmal Stimmen von einer Loggia nebenan; eine Warnung, daß man sie hören könnte. Sie schauen auf die drei Wellenkämme (dann wieder sind es nur zwei) mit dem kräuselnden Gischt, der aus der Nacht kommt. Lynn jetzt ohne Sonnenbrille; wenn sie im Sessel zurücklehnt, reicht ihr offenes Haar fast auf den Lattenboden der Loggia. In der Wölbung unter dem Gischt sind die kommenden Wellen grün, ein bleiches Grün und milchig. Die Musik aus der Bar hat aufgehört. Mitternacht. Manchmal prallt es wieder auf den Strand, so daß man vergißt, woran man eben gedacht hat. Meistens rauscht es gleichmäßig. Ein Mal sind es vier Wellenkämme hintereinander. Es wäre schade, jetzt zu schlafen, und sie sitzen noch lang. YOU ARE WATCHING ME . Wenn er ihre Schultern faßt, wenn er ihr Haar strafft und mit seinen flachen Händen nach hinten streicht, damit ihre Stirn ganz frei wird, lesbar als Stirn eines vertrauten Menschen, oder wenn er ihre rötlichen Brauen nachzeichnet mit seinem Finger: ohne Zweifel, daß seine Zärtlichkeit sich auf Lynn bezieht, die junge Fremde; sein Gefühl vertauscht sie nicht mit andern, wenn er ihren Körper küßt, bis sie ihn zu sich zieht. Ihr Haar auf seinem Gesicht, der weite und weiche Mund, ihre jetzt schmalen Augen, die plötzliche Ähnlichkeit aller Frauen im Augenblick ihrer Lust. Später ihr Kopf an seiner Schulter, Härte eines Schädels. YOU ARE THINKING . Eine wird die letzte Frau sein, und ich wünsche, es sei Lynn, wir werden einen leichten und guten Abschied haben ... Um sieben Uhr morgens, als er allein auf der Loggia draußen steht, ist es dem Himmel noch nicht anzusehen, ob es ein grauer oder blauer Tag wird. Er hofft, nicht geschnarcht zu haben. Die Latten unter den bloßen Füßen sind feucht, etwas glitschig. Er weiß nicht, was er denkt; er ist wach. Wie die Möwen. Auch das hölzerne Geländer, auf das er seine Arme stützt, ist naß. Er genießt es, zu frösteln und nichts zu denken. Er empfindet seine Füße auf dem kalten Lattenrost,seine Hände auf dem Holz des Geländers; er hört die Möwen, aber er schaut nicht. Was zu sehen wäre, das kennt er. Sein Körper läßt ihn empfinden, daß er im Augenblick da ist.
Weitere Kostenlose Bücher