Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
im Schauspielhaus. Verkörperlichung dort wie hier. Zwar bewerkstelligen es die andern, trotzdem habe ich das Gefühl, Hände zu haben. Es entsteht etwas. Es ist mir bewußt, daß das eine volle Zeit ist Tag für Tag; nicht ohne fachliche Sorgen, da der letzte Akt sich als dünn erweist und da die Lasur für das Holzwerk häßlich ist, unwiderrufbar. Bevor ich die Baustelle verlasse, säubere ich die Schuhe mit einer Latte oder einem Draht, dann nehme ich mein Fahrrad. Es kommt vor, daß ich auf dem Fahrrad pfeife.
12. 5. 1974:
das Morgenmeer perlmuttergrau unter tiefem Gewölk, die Brandung flau, keine Sonne. Es ist besser, die Schuhe auszuziehen und barfuß im Sand zu gehen, die Schuhe in den Händen. Möwen über der leeren Küste, lauter als jede Empfindung, lauter als die Brandung. Er denkt: Heute wird’s regnen. Büschel von Gras auf der Düne. Es ist windig, und er trägt nur das Hemd, keine Jacke; man friert nicht, solang man stapft. Es regnet noch nicht. Wieder kein Mensch weit und breit. Da und dort eine Plastik-Dose im Sand; die hat man gestern nicht bemerkt. Er fragt sich, wie weit er gehenwird, die Schuhe in den Händen. Die beiden Sessel von gestern sind winzig in der Ferne, kaum noch zu erkennen. Er fühlt sich wohl. Er stapft. Kurz nachdem er beinah gestolpert ist, weiß er, was er, die beiden Schuhe in den beiden Händen, gedacht hat: Ich möchte dieses Wochenende beschreiben können, ohne etwas zu erfinden, diese dünne Gegenwart – das hat er aber schon gestern gedacht in der Boutique; den Namen der Ortschaft hat er vergessen. Dann wieder denkt er gar nichts ... Dann wieder dasselbe: Ich möchte nichts erfinden; ich möchte wissen, was ich wahrnehme und denke, wenn ich nicht an mögliche Leser denke. Schreibe ich denn, um Leser zu befriedigen, um Kritiker zu beliefern! Die Frage, ob man beim Schreiben an den Leser denke, kommt in jeder Universität. Zum Beispiel, denkt er, habe ich mir die Leser nie barfüßig vorgestellt ... Wo der Sand am Auslauf der Brandung feucht ist und dadurch härter, so daß man leichter geht, werden die Füße kalt. Es ist Flut, der Strand schmaler als gestern. Weiter von der Brandung entfernt, dort wo der Sand trocken ist, wird es ein mühsames Stapfen, und die Haut der Sohlen beginnt zu brennen. Ein körniger Sand. Einmal müßte man so lang gehen, bis man keine Haut mehr an den Sohlen hat und wirklich zu sich selbst spricht.
SONST BLEIBT’S IM TRAUM :
– drei oder vier Hunde, Doggen vielleicht, es sind große Hunde. Ich bin mit ihnen eingesperrt in diesem Hundezwinger. Sie greifen mich aber nicht an, sie bellen. Ich sehe nicht hinaus. Sie bellen wie tollwütig. Ich weiß nicht, wer draußen vor dem Zwinger ist, man hört Stimmen, der Zwinger bleibt verriegelt. Sonst würden die Hunde euch zerreißen. Sie kläffen nicht bloß, jetzt kratzen sie mit ihren Pfoten durch den Spalt unter der Türe; wenn sie die Beine zurückziehen, sehe ich, daß ihnen die Pfote abgehackt ist, eine nach der andern.
Gestern der lange leichte Nachmittag: als sei’s verwunden (wie schon öfter) ein für allemal, Blick zurück ohne Zorn und ohne Selbstmitleid, alles verwunden und geläutert (es haben nur noch die Hexameter dazu gefehlt) ein für allemal, und jetzt bleibt er auf der Düne stehen, die Schuhe in den Händen, um zu sagen:
DAMN !
erstens ist das Meer nicht perlmuttergrau, die Möwen sind nicht weiß, der Sand weder gelb noch grau, nicht einmal das Gras ist grün oder gelb, das tiefe Gewölk nicht violett –
DAMN !
Ich lebe stets in Unkenntnis der Lage.
DAMN !
Nachher verstehe ich mein Verhalten nicht. Ein Ausspruch, der mich getroffen hat wie ein Messer, ist überhaupt nie gefallen; alle bezeugen es. Ich verletze mich an einem Wahn. Meistens kommt es nicht zum Vorschein, wenn das Hirn mich im Stich läßt; nur ich bemerke meine Fehlleistungen jeden Tag. Das macht unsicher und aggressiv. Meine Furcht davor, daß das Hirn mich im Stich läßt, und meine Emotionalität: labil, exaltiert, fragil. Es hilft nichts, daß ich dieses oder jenes zu wissen meine. Ein langer leichter Nachmittag: die Welt entrückt in ihre Zukunft ohne mich, und so die Verengung auf das Ich, das sich von der Gemeinsamkeit der Zukunft ausgeschlossen weiß. Es bleibt das irre Bedürfnis nach Gegenwart durch eine Frau. Ich kenne das Vakuum: wenn eine Viertelstunde, die nächste, länger erscheint als das vergangene Jahr, und dabei habe ich grad noch
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