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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Arm, das dauert drei oder vier Stunden, dieses Tröpfeln aus der Blase über mir. Um ihn nicht zu verlieren, wiederhole ich den nächtlichen Satz von Viertelstunde zu Viertelstunde; ohne jedes Mal denken zu können, was er heißt. Eine Gruppe von Wörtern. Vor allem nach der Visite des Oberarztes, nachdem ich andere Wörter gehört habe, ist es dringlich, diese Gruppe von Wörtern wieder herzustellen. Nach der Infusion ist man ermattet, aber nicht nur das; auch Sehstörungen. Ich muß aber den Satz notieren, bevor ich in Schlaf falle. Gegen Abend fühlt man sich wach; ich lese den Satz, der keiner ist: das Subjekt ist nicht zu entziffern, ich rate vergeblich, und es fehlt jedes Verbum. Ich habe Angst. Sie besucht mich, und ich kann’s nicht sagen. Kann ich hören? Ich bemerke nicht, daß sie heute ein neues Kleid trägt, ein sommerliches. Sie ist enttäuscht; sie ist den ganzen Tag in Zürich herumgelaufen, um mich zu erfreuen mit einem neuen Kleid. Ferner hat sie Blumen für mich gekauft, Rittersporn, da ich Rittersporn mag; sie stehen in der Wohnung, sagt sie, drei Sträuße. Ich verstehe allesnicht. Ich schicke sie weg. Ich bin gelber als ein echter Chinese und verfüge den Kauf von zwei Volkswagen, einen für sie, einen für mich, wenn ich aus diesem Spital komme. Zum Glück ist jemand auf Durchreise hier, der sie nach Rom begleiten kann. Nicht irgend jemand: Hans Magnus. Ich habe sie weggeschickt, Sommer 1959, und kurz darauf werde ich gesund. Ich kann schon wieder gehen: eine halbe Stunde zur Schwefelquelle und eine halbe Stunde zurück, später mehr. Das Gedächtnis ist auch wieder da, sie also in Rom. Als ich vier und fünf Stunden am Tag gehen kann, weiß ich, daß ich nicht leben will ohne sie. ROMA NON RISPONDE , ich kann es nicht fassen, daß ich sie eine Nacht lang nicht erreiche, auch tagsüber nicht, ROMA NON RISPONDE , ich kann mir vielerlei Gründe denken, und alle sind mir durchaus gleichgültig; was mich fertigmacht: dieses Klingeln, bis wieder die Stimme kommt: ROMA NON RISPONDE . Ich hole eine Decke, da ich immer wieder einschlafe neben dem Apparat, und stelle den Wecker, um anzurufen jede Stunde. Ein Kranker hat sie weggeschickt, ich weiß; der Arzt hat erlaubt, daß ich mich ankleide und einige Minuten auf die Straße gehe, um den beiden zu winken bei der Ausfahrt. Hat sie meine Briefe nicht bekommen? Ich bin nicht mehr gelb; ich will sie. ROMA NON RISPONDE, ROMA NON RISPONDE . Einmal höre ich doch ihre Stimme; wenige Tage danach treffen wir uns an der italienisch-schweizerischen Grenze und rollen in zwei Volkswagen nach Zürich. Was in Rom gewesen ist, sagt sie. In Zürich der Versuch mit zwei Wohnungen; sie wohnt in dem Haus, wo Gottfried Keller als Staatsschreiber gewohnt hat, mit Türen aus Nußbaum, Beschläge aus Messing. Was traue ich mir zu? – in Siena, Herbst 1959, stehe ich vor der Post wie ein erwachter Traumwandler, eine Weile lang nicht imstande, jetzt über den besonnten Platz zu gehen: der Brief ist abgeschickt, Expreß, ein dicker Brief. Ich habe ihr die Ehe angetragen. Ja. Ihre Antwort kann ich mir nicht vorstellen. Nein. Der Freund, der in einer nahen Bar auf mich gewartet hat, findet mich ziemlich verstört und weiß nicht warum. Wann kann ihre Antwort mich frühestens erreichen? In diesem Herbst darf ich nicht trinken, nicht einmal Kaffee; so nüchtern habe ich uns die Ehe vorgeschlagen. In Assisi gehe ich zuerst zur Post, dann in den Dom, wo gerade eine Hochzeit aufgeführt wird, eine katholische; in Florenz zur Post, bevor ich mit dem Freund ein Hotel suche. Soll ich es wagen und anrufen? Mein Brief, den ich im Augenblick noch auswendig weiß, ist angekommen, das höre ich von ihr erst bei unserem Wiedersehen in Zürich. Was hätte ich, ein halbes Jahr nachder späten Scheidung meiner bürgerlichen Ehe, unter Ehe verstanden? Ich begleite sie nach Frankfurt; im Hörsaal, während ihrer ersten Vorlesung, sitze ich und halte ihren Mantel auf meinen Knien. Die nächsten Male will sie allein nach Frankfurt fahren; einmal auf dem Bahnsteig, als ich sie abhole, bleibt sie stehen, sowie sie mich sieht, ganz und gar verwirrt. Was in dem Telegramm steht, das sie am andern Tag so bestürzt, bleibt ihr Geheimnis. Es befreit mich nicht aus meiner Hörigkeit, daß ich in diesem Winter, zwischen unseren zwei Wohnungen, zu einer andern Frau gehe. Auch meine Kinder lieben sie, glaube ich. Später ziehen wir zusammen nach Rom, VIA GIULIA 102, wo es lärmig ist. Ihr Rom. Das Gerücht

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