Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
unserer Verehelichung geistert durch Zeitungen mit Angabe einer italienischen Kapelle, die ich nie gesehen habe. Glaubt man ihr die Freiheit nicht? Als Gäste bei Freunden, ihren oder meinen, bekommen wir fraglos ein Zimmer zusammen; wir sind ein Paar, eine Art von Paar, es ist kaum noch zu verheimlichen. In einem italienischen Restaurant kommt ein Deutscher an unseren Tisch, ich sehe eine Begrüßung voll Freude über den Zufall dieser Begegnung und höre eine halbe Stunde lang zu; sie stellt mich nicht vor und ich stelle mich nicht vor, weil ich weiß, daß sie es nicht möchte, und er, Peter Huchel, wagt sich auch nicht vorzustellen, obschon er mich erkannt hat. Manchmal ist es komisch. Als ich sie in Neapel besuche, zeigt sie das Haus nicht, wo sie wohnt, und nicht einmal die Straße; das verstehe ich. Sie hat eine große Scheu davor, daß Menschen, denen sie nahesteht, einander begegnen. Sie möchte nicht, daß ich je zu einer Tagung der GRUPPE 47 erscheine; das bleibt ihre Domäne. Sie hat mehrere Domänen. Dann und wann verdrießt mich die Geheimnistuerei. Was fürchtet sie? Einmal reisen wir nach Klagenfurt; sie zeigt mir den Brunnen mit dem Lindwurm, berühmt durch ihren Text; ich bin (so sagt sie) der erste Mann, dem sie das zeigt, und sie zeigt mich der Familie. Dann wieder, in Rom, scheidet sie Vergangenheit und Gegenwart; plötzlich bleibt sie stehen, wie von einem Ziegel getroffen, und hält den Handrücken vor ihre steile Stirn: Bitte, nein, laß uns nicht durch diese Gasse gehen, nein, bitte nicht! Ich frage nicht. Man vergibt sich mit seinen Geheimnissen. Das ist wahr. Eine Versammlung aller, die je in unser Leben hineingespielt haben oder eines Tages hineinspielen könnten, das ist eine schreckliche Vorstellung: ihre Kenntnisnahme gegenseitig, ihre Übereinkunft nach dem Austausch widersprüchlicher Kenntnisse, ihr Verständnis für einander, das wäre das Begräbnis unseres Selbstverständnisses. Ihr Glanz; wir sitzen vor einem römischenMakler, der die Wohnung einer Baronessa vermietet und zu verstehen gibt, die Baronessa könnte als Mieter einen amerikanischen Diplomaten vielleicht vorziehen, DOTTORE , sagt sie entgeistert wie eine Königstochter, die nicht erkannt worden ist und zögert, SENTA , sagt sie, SIAMO SCRITTORI , und wir bekommen die Wohnung; Terrasse mit Blick über Rom. Oft ist sie für Wochen weg, ich warte in ihrem Rom. Ein Mal, als ich sie auf der Fahrt nach Rom weiß, kann ich keine Stunde mehr warten, sondern fahre vor die Stadt hinaus und halte Wache auf einer Böschung der Straße; ich warte auf ihren blauen Volkswagen. Um sie zu begrüßen. Für den Fall, daß die Fahrerin mich an der Straße nicht sieht, steht mein Wagen startbereit in Richtung ROMA/ CENTRO . Es kommen Volkswagen hin und wieder, auch blaue, so daß ich winke. Vielleicht speist sie noch in Siena, RISTORANTE DI SPERANZA , ich habe Zeit. Sie hat mich dann nicht erkannt, aber es dauert nicht lang, bis ich sie einhole; ich sehe ihren runden Kopf von hinten, ihr Haar. Offenbar versteht sie mein Hupen nicht, und es dauert noch eine Weile, bis ich vorfahren kann in der Art, wie die Polizei vorfährt, um einen Wagen zu stoppen, und so ist sie denn auch erschreckt. Ich bin ein Narr und weiß es. Ihre Freiheit gehört zu ihrem Glanz. Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite; ich bezahle ihn voll. Auf der sommernächtlichen Terrasse mit Blick über Rom schlafe ich mit dem Gesicht in der eignen Kotze. Ich leide zur Mehrung meines zärtlichen Verlangens. Wenn sie aber da ist, so ist sie da. Oder täusche ich mich? Was es nie gewesen ist: Ehe als Häuslichkeit in Kleinmut. Was quält mich? Ich sitze in meinem Zimmer und belausche sie nicht, aber ich höre, wie sie am Telefon mit jemand spricht; ihre Stimme ist fröhlich, sie lacht, es wird ein langes Gespräch; ich habe keine Ahnung, wem sie es sagt: Übermorgen fahre ich nach London! ohne zu erwähnen, daß wir zusammen nach London fahren zu meiner Aufführung. Einmal habe ich getan, was man nicht tun darf: ich habe Briefe gelesen, die nicht an mich gerichtet sind, Briefe von einem Mann; sie erwägen die Ehe. Ich schäme mich und schweige. Sie lügt nicht, wenn ich frage. Sie schreibt: Wenn sich zwischen uns etwas ändert, so werde ich es dir sagen. Wieder einmal meine ich, daß ich es nicht aushalte ohne sie. Ich fahre nach Norden, die Strecke, die ich auswendig kenne: zehn Stunden bis Como, wo ich sonst übernachte, aber dieses Mal fahre ich weiter ohne Pause. Sie
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