Montedidio: Roman (German Edition)
bringen.«
M ARIA GEHT SONNTAGS nicht in die Kirche, sie sagt, sie kann dem Beichtvater nicht erzählen, was bei den Besuchen passiert, sie darf deshalb nicht die Kommunion empfangen. Ich sage ihr, dass der Hausbesitzer auch hingeht, beichtet und die Hostie kriegt. »Der Priester ist gleich alt, die einigen sich doch untereinander. Ich brauche einen Beichtvater, der dreizehn Jahre alt ist, der versteht, wie ekelhaft das ist, der sich in unser Alter hineinversetzen kann und weiß, dass wir Marionetten in den Händen der Erwachsenen sind, wir zählen gar nicht.« Der liebe Gott sieht alles, Maria, sage ich. »Ja, er sieht alles, aber wenn ich mich nicht selbst darum kümmere, die Dinge klarzustellen, dann wird er weiter nur Zuschauer sein.« Ich schlucke Marias Gotteslästerung herunter, werde rot, fast als wäre ich der liebe Gott, der alles gesehen und nicht geholfen hat.
D IE M USKELN FÜR DEN W URF werden immer kräftiger, jetzt bin ich da für dich, wir sind verlobt, sage ich und, ach übrigens, Maria, was machen Verlobte eigentlich? »Sie machen Liebe, sie heiraten, sie laufen zusammen weg«, sagt sie mit Bestimmtheit. Ich frage nicht weiter, mir genügt, dass sie es weiß. Wir schauen uns an, die Augen sind groß wegen der Dunkelheit. Sie öffnet ihr Lächeln, und die Spitze meines Dings bewegt sich von selbst. Als sie den Mund aufmacht und die Zähne hervorblitzen, kitzelt es mich, und mir wird warm, genau dort. Ich lege den Arm um ihre Schulter, drücke ein bisschen. Es ist das erste Mal, dass ich sie anfasse, dass eine Bewegung von mir ausgeht. Maria legt ihren Kopf auf meinen Arm, ich sehe ihr Gesicht nicht mehr, das Jucken an meinem Dings beruhigt sich. Wie merkwürdig stark ich mir vorkomme, das Wurftraining hat auch den Muskel wachsen lassen, mit dem ich Maria halte. Sie steht auf, sammelt die aufgehängte Wäsche vor der Brust ein und streckt mir den Hals entgegen für einen Kuss. Also beuge ich mich mit dem Mund genau auf ihren Mund zu, und so haben wir Gleichstand. Verlobte machen die gleichen Bewegungen.
I N DER W ERKSTATT hole ich den Bumerang unter der Jacke hervor und lasse ihn gut sichtbar liegen. Meister Errico packt ihn, drückt ihn, dreht ihn herum, riecht daran. »Dick ist er«, sagt er, dann spuckt er drauf und verreibt die Spucke mit dem Daumen. Ich erschrecke über Meister Erricos Ungezwungenheit, der Bumerang ist antik, er ist fremd, eine Waffe, wie kann er es wagen, so damit umzugehen? Er zeigt mir die Stelle, wo er gerieben hat, sie hat einen violetten Ton angenommen, er legt den Mund darauf: »Er ist voll Tannin, das ist Akazienholz.« Ich erzähle ihm, wie ich den Bumerang bekommen habe. Dieses Holz lässt sich nicht gut verarbeiten, es ist zu hart, du machst dir den Hobel darauf kaputt, nicht mal eine Krücke kannst du daraus schnitzen, und zum Verbrennen ist es ungeeignet. Zu irgendwas muss es wohl taugen, aber er weiß es nicht. Als er ihn mir zurückgibt, durchfährt ihn ein elektrischer Schlag, er zuckt vor Überraschung zusammen: Ist da Strom drin? Ich habe nichts gespürt, lüge ich, denn ich habe mich an das Zittern des Bumerangs gewöhnt. Meister Errico macht das düstere Gesicht, das er immer macht, wenn er irgendein Problem nicht versteht, dann kommt er mit seinem üblichen Spruch: »Los, an die Arbeit, ein Tag ist schnell
gegessen.«
I CH LASSE DEN B UMERANG bei Rafaniello liegen. Der Haufen kaputter Schuhe nimmt langsam ab, unter seinen Händen laufen sie wie von allein los, das Fett lässt sie glänzen, man riecht den Duft von zufriedenem Leder. Mittags, wenn Meister Errico zum Essen geht, kommen die Leute vorbei, um die reparierten Schuhe abzuholen. Mit den ersten kühlen Nächten scheinen sie noch schlimmer dran zu sein, sie hüllen sich in eine Armeewolldecke ein, ziehen zwei Jacken oder alle Hemden übereinander an, wenn sie nichts anderes haben. »Don Rafaniè, o pateterno v’adda fa’ diventa’ ricco comm’ ’o mare« , Don Rafaniè, der liebe Gott wird Euch reich machen wie das Meer, sagen sie als Entgelt für die Arbeit, die sie nicht bezahlen können, dazu kommen die Segenswünsche für die Gesundheit, gegen die üble Nachrede und den bösen Blick. »Behüt Euch Gott vor dem Feuer, der Erde und den Bösewichtern«, »auf dass Gold aus Eurem Buckel ströme«, Rafaniello ist zufrieden, er sagt, die Segenswünsche sind mehr wert als das Geld, weil sie im Himmel gehört werden. Und auch die Verwünschungen werden gehört, sagt er und spuckt auf die Erde, um
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