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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erri De Luca
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sich den Mund von dem traurigen Wort sauber zu spülen.
    E IN FAHRENDER B ÜRSTENHÄNDLER hat ihm seine Schuhe dagelassen und ist barfuß weitergezogen. Er kommt zurück, um das Paar abzuholen, setzt sich, wickelt sich die schmutzigen Lumpen von den Füßen. Rafaniello zieht die Schuhe hervor, der Bürstenhändler erkennt sie kaum, so neu sehen sie aus, da umarmt er ihn mitsamt dem Buckel, drückt ihn an sich, und Rafaniello leidet wegen der Flügel, die darin zusammengepresst sind. Der Bürstenmacher hat eine kleine Schüssel mitgebracht, er gibt Wasser hinein und wäscht sich die schmutzverkrusteten Füße, er säubert sie sich respektvoll, bevor er in das Paar Schuhe schlüpft, das nach Fett und Lederfarbe duftet. Er tut das für Rafaniello, der immer Reinlichkeit empfiehlt. Er will ihm einen Kamm aus Horn schenken, doch für das struppige, feurige Rot von Rafaniellos Haaren braucht man mindestens einen Kamm aus Kupfer. Er umarmt und küsst ihn noch einmal, und dann zieht er los, um in den Straßen von Montedidio sein Marktgeschrei anzustimmen, das mich zum Lachen bringt: »Pièttene, pettenésse, pièttene larghe e stritte, ne’ perucchiù, accattáteve ’o pèttene« , was im Neapolitanischen gut geht, das Freche passt zum Dialekt, doch auf Italienisch würde man keine Haarnadel verkaufen, wenn man so übers Land zöge: »Kämme, schöne Kämme, grobe und feine, auf, ihr Verlausten, kauft euch einen Kamm.« Seine Stimme ist kräftig, und am Ende seines Spruchs fügt er noch hinzu: »Don Rafaniello, ’o scarparo è ’o masto ’e tutt’e maste e fa cammena’ pure li zuoppe« , Don Rafaniello, der Schuster, ist der größte Meister von allen, er bringt sogar die Lahmen wieder zum Laufen.
    E S GIBT ANDERE ARME L EUTE , die weniger Aufhebens machen, doch aus ihren heiseren, leisen Stimmen ertönen Segenswünsche, mächtig wie Kanonenschüsse. Rafaniello antwortet »Mirzashè« , das heißt in seiner Sprache: wenn Gott will. Kein Herrscher ist so reich an Segenswünschen wie die Armen, denen die Wünsche in den Knochen stecken, von ihren Füßen ausgehend nehmen sie im ganzen Körper Schwung und sprudeln dann aus dem Mund. Die Ärmsten sind von einer Dankbarkeit, von der kein König je gehört hat, und so geben sie Rafaniello Rückenwind für Jerusalem: So sagt er, und ich glaube ihm. Zur Mittagszeit schließe ich die Werkstatt, Rafaniello zieht seine Jacke aus, fragt mich, was ich auf dem Buckel sehe. Ich sehe ein Wundmal, einen violetten Fleck ganz oben. Er beginnt aufzubrechen, sagt er, wie eine Eierschale. Ich stecke den Bumerang in das Stück Schnur, das ich unter die Jacke genäht habe, und gehe nach oben ins Haus.
    A UF DER T REPPE BEGEGNE ICH dem Hausbesitzer, ich beiße mir auf die Zunge, um ihn nicht zu grüßen, er bemerkt mich nicht, läuft schnell hinauf, atemlos, er läuft immer weiter, an seiner eigenen Wohnung vorbei, er geht zu Maria, ich sehe, dass er eine kleine Schachtel aus der Konditorei dabeihat. Zum ersten Mal denke ich an den Bumerang, den ich am Körper trage, als an eine Waffe, ich würde ihn gerne damit treffen. Dieser schlechte Gedanke lässt das Holz schwer werden. Ich betrete die Wohnung, sie ist leer, still, ich öffne die Fenster und lasse die Herbstluft herein, die feucht ist vom Südwestwind. Mama kehrt nicht zurück, Papa wandert schweigend in der Wohnung auf und ab, er kommt nicht herein, um nachzusehen, ob ich im Zimmer bin, ob ich schlafe, wir haben uns voneinander gelöst. Von dem Geld, das er mir auf dem Tisch lässt, bereite ich ihm das Abendessen vor, auf einem Stück Papier schreibe ich die Ausgaben auf und lege das Restgeld daneben. Den Lohn von Meister Errico behalte ich vorerst. Ich muss an Mamas Lied denken, das sie sang, wenn sie nach dem Beten noch eine Minute auf meinem Bett sitzen blieb: »Oi suonno vieni da lo monte  / viènici palla d’oro e dàgli ’nfronte / e dàgli ’nfronte senza fargli male.« »Schlaf, kommst vom Berg herunter, / komm her, goldner Ball, und flieg ihm entgegen / und flieg ihm entgegen, aber tu ihm nicht weh.« Die Musik wog schwer auf den Augen und machte sie zu. Jetzt lege ich mich ohne Gutenachtgruß hin, ich schick mich selber seitwärts, so sagt Rafaniello, wenn er schlafen geht.
    D IE G EBETE SPRECHE ICH immer noch. In der Abstellkammer, wo ich schlafe, gibt es kein Fenster, und während ich zu meinem Schutzengel bete, ist mir, als wäre ich oben auf der Terrasse mit ganz viel freiem Himmel über mir statt der Zimmerdecke.

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