Montedidio: Roman (German Edition)
Viertel Santa Lucia vorbei, er kaufte mir einen tarallo , einen Kringel aus Castellammare. Mama hakte sich bei ihm unter, ich ging auf der anderen Seite an seiner offenen Hand. Die Leute wichen uns aus, um unsere Kleingruppe nicht zu stören. In Neapel bringt man den Familien Respekt entgegen, zwei Familien, die sich begegnen, grüßen sich.
P APA IST GROß WIE EIN S CHRANK und passt gerade unter dem Türpfosten durch, auf der Straße wirkt er eindrucksvoll neben den anderen Leuten, auch Mama ist groß, mit ihren pechschwarzen Haaren. Sie ist mager, ihr Gesicht übernervös. Wenn ihr eine plötzliche Geste entfährt, ist sie gefährlich, ihre Bewegung ist eine Sprungfeder, sie macht die Dinge kaputt. Sie verbiegt die Gabel beim Essen, wenn ihr ein schiefer Gedanke kommt. Ich habe ihr beim Spaziergang nicht mehr die Hand gegeben, weil sie sie manchmal in Gedanken so gedrückt hat, dass ich weinen musste. Papa sagt, dass sie mehr Kraft hat als er. Es kann kein stolzeres Kind an der Hafenpromenade gegeben haben als mich. Sogar wenn wir an den Klubs der Marinegesellschaften vorbeispazierten, wo die feinen reichen Leute hingehen, fühlte ich mich unter meinen beiden Riesen von einem Glück erfüllt, das durch nichts aufgewogen werden konnte.
A N DER P ROMENADE vor dem Park der Villa Comunale kamen wir immer dann vorbei, wenn die Fischer gerade das große Netz an den beiden Seilenden an Land zogen. Es waren sechs Männer pro Seilende, der Älteste gab das Zeichen für den Ruck, damit alle gleichzeitig zogen. Das Seil wand sich auf ihren Schultern, sie stemmten die überkreuzten Füße in den Boden und zogen mit ihrer ganzen Körperkraft das Meer an Land. Das Netz tauchte breit und langsam auf, während die beiden Seile sich auf der Straße zu zwei Haufen ringelten. Wenn es unten ankam, schlugen die Fische Funken, all das Weiß an ihnen blitzte auf, zu Hunderten schlängelten sie sich, ein ganzer Sack voll Leben, den Wellen entrissen, wurde aufs Trockene gekippt. Papa sagte: »Seht mal, das Feuer des Meeres.« Der Geruch des Meeres war unser Parfüm, der Frieden eines Sommertages, wenn die Sonne untergegangen ist. Wir standen schweigend dabei, eng beieinander, und das ging bis letztes Jahr so, bis letztes Jahr, als ich noch ein Kind war.
D ER G ERUCH DES H AFENS ist bis in unsere Gasse heraufgezogen, und ich vergesse meine Traurigkeit. Meister Errico hat gesehen, dass ich niedergeschlagen bin, und sagt, ich soll die Brühe vom Tintenfisch trinken: »Te magne ’a capa e metti giudizio« , iss den Kopf, dann wirst du vernünftig. Am oberen Ende der gegenüberliegenden Gasse gibt es einen, der Tintenfische verkauft, nur das verkauft er, ’e purpe , er ist der Tintenfischmann. Meister Errico kennt ihn und weiß, dass er sie zwischen den unregelmäßigen Steinen am Außendamm des Hafens sucht. »Fischen tut er sie nicht«, sagt er, »er fängt sie mit den Händen wie ein Züchter. Mit Muscheln zieht er sie groß, und die Tintenfische sind’s zufrieden, der Mann macht die Schalen auf, legt die Muscheln auf die Hand, und sie kommen, um sich die Muscheln von ihm zu holen. Er kennt jeden Einzelnen, benennt sie nach Zahlen, er geht mit den Füßen ins Wasser, sagt eine Zahl, und der Tintenfisch nähert sich und klammert sich ihm an die Hand. Er tötet ihn, ohne ihm wehzutun, und die Tintenfische, die er verkauft, brauchst du nicht mehr weichzuklopfen, auch die dicken sind zart. Bei ihm bekommst du nicht die kleinen, ganz jungen Tintenfische, nur die großen, ausgewachsenen. Zu dem gehst du und trinkst deine
Brühe.«
I N DER M ITTAGSPAUSE erzählt Rafaniello mir von der Zeit, als er in seinem Heimatort war und Meister Daniele hieß, Rav Daniel. Als Junge ging auch er in die Lehre, bei einem Schuster. Das war ein grober Kerl, kein Vergleich mit Meister Errico. Er brachte ihm das Handwerk nicht bei, im Gegenteil, er versteckte es vor ihm. Rafaniello guckte sich heimlich ein bisschen ab, den Rest lernte er im Traum von einem Schuster, der in den heiligen Schriften seines Volkes vorkommt. Nachts erschien er und lehrte ihn die Schusterkunst. Als Junge studierte Rafaniello nach der Arbeit die Dinge des Glaubens, er schlief über den offenen Büchern ein. Da konnte es leicht passieren, dass ein Heiliger aus den Büchern hervorkam und ihm half. Der Schuster aus dem Traum hieß Rav Johanan Hassàndler, Meister Johannes, der Schuster, und er zeigte ihm die Kunst, die der andere Mann ihn nicht lehren wollte. »Ich habe das
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