Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
Resigniert drehte sie sich um und blickte in das zerfurchte, lächelnde Gesicht eines attraktiven, lebhaft wirkenden Mannes neben Sue. Er hätte ein Seemann sein können, oder er hatte viel Zeit in der Sonne verbracht. Er war sorgfältig gekämmt und trug einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und bunter Krawatte. Darüber hatte er sich einen weißen Kittel gezogen, der ebenso gestärkt war wie der, den Sue trug. Alles in allem strahlte er etwas Urbanes, Vornehmes, ja sogar Elegantes aus und unterschied sich auffällig von den ansonsten sehr nachlässigen Ärzten. Und was seine Nase anging, hatte Laurie das Gefühl, dass sie hervorragend in sein Gesicht passte.
»Ich möchte dir Dr. Roger Rousseau vorstellen«, sagte Sue, ihre Hand auf seiner Schulter.
Laurie erhob sich und schüttelte seine Hand. Sie war warm, sein Händedruck kräftig. Als sie in seine Augen aufblickte, stellte sie überrascht fest, dass sie hellblau waren. Sie stammelte, dass sie sich freue, ihn kennen zu lernen, und wand sich innerlich, weil sie sich wieder genauso fühlte wie damals in der Mittelschule, als ihr zum ersten Mal jemand vorgestellt worden war.
»Nennen Sie mich bitte Roger«, forderte er sie herzlich auf.
»Und ich bin Laurie«, erwiderte sie, als sie langsam wieder ruhiger wurde. Sein Lächeln, das Sue so gut beschrieben hatte, war sympathisch.
»Sue hat erwähnt, dass Sie vertrauliche Informationen für mich hätten.«
»Ja, stimmt«, erwiderte Laurie schlicht. »Ich nehme an, sie hat auch erwähnt, dass ich als Quelle anonym bleiben muss. Wenn etwas durchsickert, steht mein Arbeitsplatz auf dem Spiel. Leider habe ich in der Vergangenheit schon meine Erfahrungen mit so was gemacht.«
»Damit habe ich kein Problem. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass die Sache unter uns bleibt.« Er blickte sich in der vollen Kantine um. »Der beste Ort für ein vertrauliches Gespräch ist das hier ja nicht. Darf ich Sie in mein bescheidenes Büro bitten, wo wir aber zumindest ungestört sind? Da brauchen wir nicht zu schreien, und dort wird uns niemand belauschen.«
»Das klingt gut.« Laurie blickte zu Sue, die ihr, verschmitzt grinsend, zuzwinkerte und gleichzeitig zum Abschied winkte. Als Laurie nach ihrem Tablett greifen wollte, bedeutete ihr Sue, dass sie es fortbringen würde.
Laurie folgte Roger durch die Kantine, die mittlerweile noch voller geworden war. Am Ausgang wartete er, bis Laurie ihn eingeholt hatte. »Mein Büro ist nur ein Stock höher. Normalerweise nehme ich die Treppe. Haben Sie was dagegen?«
»Um Himmels willen, nein.« Laurie war überrascht, dass er überhaupt fragte.
»Sue hat mir erzählt, Sie seien bei Ärzte ohne Grenzen gewesen«, meinte Laurie, als sie die Treppen hinaufgingen.
»Ja, stimmt«, antwortete Roger. »Ungefähr zwanzig Jahre lang.«
»Ich bin beeindruckt.« Laurie wusste ein bisschen Bescheid über diese Organisation und ihre hervorragende Arbeit, für die sie einen Nobelpreis erhalten hatte. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie, dass Roger immer gleich zwei Stufen auf einmal nahm. »Wie sind Sie zu dazu gekommen?«
»Nach meiner Assistenzzeit in einer Abteilung für Infektionskrankheiten Mitte der Achtzigerjahre habe ich ein Abenteuer gesucht. Ich war ein linksliberaler Idealist, der die Welt ändern wollte. Ärzte ohne Grenzen schien da gut zu passen.«
»Und haben Sie Ihr Abenteuer gefunden?«
»Auf jeden Fall, aber ich habe auch viel über Krankenhausverwaltung gelernt. Allerdings bin ich auch ziemlich desillusioniert worden. Dass in so vielen Teilen der Welt die medizinische Grundversorgung fehlt, ist entmutigend. Aber ich will erst gar nicht davon anfangen.«
»Wo waren Sie eingesetzt?«
»Zuerst im Südpazifik, dann in Asien und schließlich in Afrika. Ich habe darauf geachtet, dass ich einmal ganz um die Welt komme.«
Laurie erinnerte sich an ihre Reise nach Westafrika mit Jack und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, dort zu arbeiten. Bevor sie von dieser Reise erzählen konnte, eilte Roger voraus und öffnete oben an der Treppe die Tür.
»Warum haben Sie die Organisation verlassen?«, fragte Laurie, als sie den belebten Flur in Richtung Verwaltung entlanggingen. Laurie war überrascht, wie viele Menschen ihn mit Namen grüßten, obwohl er doch relativ neu hier war.
»Zum Teil weil ich desillusioniert war, weil ich die Welt nicht ändern konnte, zum Teil weil ich das Bedürfnis hatte, nach Hause zurückzukehren und eine Familie zu gründen. Ich habe mich immer für
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