Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
Dollar mehr darauf sein.
Für Jazz bedeutete Geld auf dem Bankkonto Macht. Auch wenn sie gar nichts Besonderes damit anstellte, reichte ihr das Wissen, dass sie es könnte. Mit Geld standen ihr Möglichkeiten offen. Sie hatte noch nie Geld auf der Bank gehabt, weil sie alles Geld, das sie in die Finger bekam, gleich wieder für Dinge ausgab, die sie gerade haben wollte – eine Art Flucht vor der Realität. In der Mittelschule und auf der Highschool waren das Drogen gewesen.
Sie war in recht ärmlichen Verhältnissen in einer winzigen Zweizimmerwohnung in der Bronx aufgewachsen. Ihr Vater, Geza Rakoczi, der einzige Sohn eines ungarischen Freiheitskämpfers, der 1957 in die USA ausgewandert war, hatte sie mit fünfzehn gezeugt. Ihre Mutter Mariana war genauso alt gewesen und stammte aus einer großen puertoricanischen Familie. Aus religiösen Gründen waren die beiden Jugendlichen gezwungen worden, die Schule zu verlassen und zu heiraten. Jasmine war 1972 zur Welt gekommen.
Das Leben war für Jasmine von Anfang an ein Kampf gewesen. Beide Eltern hielten Abstand zur Kirche, der sie die Schuld für ihre Notlage gaben. Beide wurden Alkoholiker und nahmen Drogen, und wenn sie einigermaßen nüchtern waren, stritten sie miteinander. Ihr Vater arbeitete mit Unterbrechungen an verschiedenen Stellen, verschwand hin und wieder für mehrere Wochen oder wurde wegen diverser Verbrechen und Vergehen eingesperrt, unter anderem wegen häuslicher Gewalt. Ihre Mutter hatte Gelegenheitsjobs, wurde aber immer wieder gekündigt, weil sie oft betrunken zur Arbeit kam und schlechte Leistung brachte oder gar nicht erst erschien. In letzter Zeit war sie ziemlich fett geworden, was ihre Chancen auf eine Arbeitsstelle noch mehr einschränkte.
Jasmines Leben außerhalb der heimischen vier Wände war auch nicht besser gewesen. Das Wohnviertel und die Schulen wurden von einem Netz aus gewalttätigen Banden kontrolliert, und schon in der Grundschule griffen die Kinder zu Drogen. Selbst im Kindergarten waren die Erzieherinnen mehr mit Verhaltensproblemen als mit allem anderen beschäftigt.
Gezwungen, in dieser unsicheren, gefährlichen Welt zu leben, in der das einzig Beständige der ständige Wandel war, überlebte Jasmine durch das Prinzip von Versuch und Irrtum. Jedes Mal, wenn sie von der Schule nach Hause kam, hatte sie keine Ahnung, was sie dort erwartete. Ein Bruder, der geboren wurde, als sie acht Jahre alt war, und zu dem sie sich eine Seelenverwandtschaft erhoffte, starb im Alter von vier Monaten am plötzlichen Kindstod. Dies war das letzte Mal gewesen, dass sie geweint hatte.
Als sich Jazz ihr Konto mit den fast vierzigtausend Dollar betrachtete, erinnerte sie sich an das einzige andere Mal, als sie für ihr Gefühl viel Geld besessen hatte. Es war das Jahr, nachdem ihr kleiner Bruder Janos gestorben war. Damals war so viel Schnee gefallen, dass er sogar liegen blieb, was in New York selten vorkam. Mit einer alten Kohlenschaufel, die Jazz im Keller des alten Wohnhauses gefunden hatte, hatte sie im Viertel die Gehwege vom Schnee befreit. Um fünf Uhr hatte sie ein Vermögen verdient: dreizehn Dollar.
Stolz war sie mit den zusammengerollten Eindollarscheinen nach Hause gekommen. Im Rückblick war ihr klar, dass sie es hätte besser wissen müssen, doch damals konnte sie nicht anders, als mit ihrem neu erworbenen Reichtum kräftig anzugeben. Das Ergebnis war vorhersehbar, wie Jazz jetzt wusste. Geza hatte ihr das Geld aus der Hand gerissen und gesagt, es sei Zeit, dass sie auch endlich etwas für ihren Unterhalt beitrage. Dann hatte er sich von dem Geld Zigaretten gekauft.
Ein leises Lächeln umspielte Jazz’ Lippen, als ihr einfiel, wie sie sich gerächt hatte. Das Einzige, was ihr Vater damals wirklich geliebt hatte, war ein langhaariger, kläffender Köter von der Größe einer Ratte gewesen, den ihm jemand geschenkt hatte. Während er vor dem Fernseher Bier getrunken hatte, hatte sie den Hund ins Badezimmer mitgenommen, wo das Fenster wegen des üblen Klogeruchs immer offen stand. Sie erinnerte sich an den Ausdruck auf dem Gesicht des Hundes, als wäre es gestern gewesen. Sie hatte ihn am Nacken gepackt und aus dem Fenster gehalten, während er mit den Füßen wild in der Luft zappelte. Sie hatte ihn losgelassen, und er hatte nur einmal kurz aufgejault, dann war er vier Stockwerke tiefer auf den Beton gestürzt.
Später hatte Geza sie abrupt geweckt und gefragt, ob sie irgendwas über den Tod des Hundes wisse. Sie hatte alles
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