Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
MRSA-Problem in den Angels-Kliniken keine natürliche Ursache haben konnte, und diese Überlegung führte sie zu der noch beunruhigenderen Schlussfolgerung, dass Vorsatz dahinterstecken musste. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Es gab eine Person im OP, die als Verursacher für diese Pneumonien infrage kommen konnte, und das war die Person, die für die Narkose zuständig war. Der Anästhesist überwacht die gesamte Luftversorgung des Patienten, wird oft genug überhaupt nicht wahrgenommen und wäre durchaus in der Lage, unbemerkt und auf teuflische Weise ausreichend viele Staphylokokken in die kleinsten Verästelungen der Lunge zu befördern, um damit eine tödliche Lungenentzündung auszulösen.
Laurie hatte es plötzlich sehr eilig. Hastig griff sie nach ihrer Tabelle, doch die Erleichterung stellte sich unmittelbar ein. Die Tabelle war zwar noch sehr lückenhaft, doch sie konnte trotz der wenigen Einträge erkennen, dass immer unterschiedliche Anästhesisten Dienst gehabt hatten. Dann kam ihr ein anderer Gedanke. Was, wenn es sich nicht um eine Einzelperson handelte, sondern um eine Verschwörung von vielen, die in irgendeine erbitterte arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit Angels Healthcare verstrickt waren? Doch schon in dem Augenblick, in dem sie ihre Verschwörungstheorie zu Ende gedacht hatte, verwarf sie sie auch schon wieder als Resultat ihrer verzweifelten Suche nach einer rationalen Erklärung. Sie machte sich sogar über sich selbst lustig, weil sie eine solch lächerliche und paranoide Hypothese überhaupt aufgestellt hatte, und schwor sich auf der Stelle, niemandem, und ganz besonders nicht Jack, etwas davon zu erzählen. Nachdem sie also wieder zur Vernunft gekommen war, wurde ihr auch klar, dass es sich bei den hypothetischen Bösewichten sowieso nicht um Anästhesisten handeln konnte, da eine ganze Reihe der Opfer nicht an primären nekrotisierenden Pneumonien erkrankt war, sondern an fulminant verlaufenden Infektionen der Operationswunden, die schließlich zu einem Toxischen Schock-Syndrom geführt hatten.
Nachdem ihr die Ideen ausgegangen waren, wandte sich Laurie wieder der Erweiterung ihrer Tabelle und dem Ausfüllen der leeren Kästchen zu. Als sie vorhin ins Büro gekommen war, hatte ein Zettel von Cheryl an ihrem Bildschirm geklebt. Darauf stand, dass die meisten Akten, die Laurie von den Angels-Kliniken angefordert hatte, in ihrem E-Mail-Postfach lagerten und dass der Rest morgen kommen sollte. Außerdem hatte sie die Päckchen mit den insgesamt sechs Fallakten aus den Gerichtsmedizinischen Instituten in Brooklyn und Queens sowie den separaten Umschlag mit den beiden noch fehlenden Fällen von Besserman und Southgate gesehen, die sie vorhin, als Laurie die anderen vier abgeholt hatte, nicht griffbereit gehabt hatten.
Laurie holte ihre E-Mails ab und arbeitete sich durch die Massen von Patientenakten, die Cheryl ihr zugeschickt hatte. Eine nach der anderen lud sie sich auf den Bildschirm und schickte sie auf den Drucker unten in der Verwaltung. Sie arbeitete lieber mit Ausdrucken, die ließen sich leichter lesen. Als Nächstes sortierte sie die einzelnen Fälle nach Kliniken. Durch all die Fallakten der Pathologie und die Patientenakten aus den Kliniken kamen eine Menge Informationen zusammen, und sie überlegte, ob sie ihre Tabelle vielleicht lieber im Computer führen sollte. Es sprach sicherlich vieles dafür, doch zumindest vorerst wollte sie bei der guten, alten Methode mit dem Schreibblock bleiben.
Als sie glaubte, dass genügend Zeit verstrichen war, lief sie in den Druckerraum hinunter und holte sich ihren Stapel mit den ausgedruckten Patientenakten ab.
Auf der Fahrstuhlfahrt nach oben stellte sie fest, dass es beinahe fünf Uhr war, und fragte sich, wann Jack wohl zurückkommen würde. Im dritten Stock stieg sie aus, um bei Agnes im mikrobiologischen Labor vorbeizuschauen, holte ihr Handy hervor und sah nach, ob es auch eingeschaltet war, falls Jack sie erreichen wollte. Gut möglich, dass seine Exkursion, wie Chet es genannt hatte, ihn in die Nähe ihres Zuhauses geführt hatte und dass er deshalb gar nicht mehr ans Institut zurückkommen wollte.
»Wir machen Fortschritte«, sagte Agnes. Sie war nach einem ihrer ganz normalen Zehn-Stunden-Tage gerade dabei, den Mantel anzuziehen, um nach Hause zu gehen, als Laurie zur Tür hereingekommen war. Agnes ging alles, was sie gemacht hatte, noch einmal durch. Dazu gehörte auch die genaue Überprüfung, ob wirklich bei allen
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