Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
Bauchnabelpiercing. Ich will nicht mehr darüber reden, zumindest nicht jetzt im Augenblick. Hast du schon zu Abend gegessen?«
»Ja, ja«, sagte Michelle geknickt. »Haydee hat Paella gemacht.«
Dank sei Gott, dass es Haydee gibt, dachte Angela. Haydee Figueredo war eine freundliche Kolumbianerin, die Angela unmittelbar nach der Trennung von ihrem Ehemann, Michael Calabrese, als Haushaltshilfe und Kindermädchen eingestellt hatte und die auch bei ihnen wohnte. Damals war Michelle gerade erst drei Jahre alt gewesen, und Angela hatte noch sechs Monate bis zum Abschluss ihrer Facharztausbildung zur Internistin vor sich gehabt. Haydee war ihr wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen.
»Wann kommst du nach Hause?«, wollte Michelle jetzt wissen.
»Erst in ein paar Stunden«, antwortete Angela. »Ich habe noch eine wichtige Sitzung.«
»Das sagst du doch bei jeder Sitzung.«
»Das kann sein, aber diese hier ist wirklich wichtiger als die meisten anderen. Hast du Hausaufgaben auf?«
»Ist der Himmel blau?«, fragte Michelle herablassend zurück.
Angela war nicht besonders erfreut über die Respektlosigkeit in Michelles Worten und in ihrem Tonfall, sagte aber nichts.
»Falls du Hilfe brauchst, dann kümmere ich mich darum, wenn ich zu Hause bin.«
»Ich glaube, dann schlafe ich schon.«
»Ehrlich? Warum so früh?«
»Ich muss morgen früh aufstehen. Wir machen doch einen Ausflug ins Museum.«
»Ach, ja, das habe ich ganz vergessen«, sagte Angela und verzog das Gesicht zu einer übertriebenen Grimasse. Sie vergaß nur ungern ein Ereignis, das ihrer Tochter wichtig war. »Falls du schon schläfst, wenn ich nach Hause komme, dann schleiche ich mich zu dir rein und gebe dir einen Kuss. Wir sehen uns dann morgen Früh.«
»Okay, Mom.«
Trotz des zu Beginn des Gesprächs angeschlagenen Tons tauschten Mutter und Tochter herzliche und liebevolle Abschiedsworte aus, bevor sie auflegten. Angela blieb noch einige wenige Augenblicke an ihrem Schreibtisch sitzen. Das Telefonat mit ihrer Tochter hatte sie an eine Zeit und einen Abschnitt ihres Lebens erinnert, der ganz ähnliche Herausforderungen und Belastungen mit sich gebracht hatte wie ihre gegenwärtige Situation. Damals musste sie sich mit der Scheidung und dem finanziellen Zusammenbruch ihrer innenstädtischen Hausarztpraxis herumschlagen. Die Tatsache, dass sie beides überstanden hatte, gab ihr neue Zuversicht in Bezug auf die Bewältigung ihrer momentanen Krise.
Ein klein wenig optimistischer als noch am frühen Nachmittag schob Angela ihren Schreibtischstuhl zurück, griff nach ihren Notizen und verließ das Büro. Überrascht stellte sie fest, dass ihre Sekretärin, Loren Stasin, immer noch pflichtbewusst hinter ihrem Schreibtisch saß. In den vergangenen drei Stunden hatte Angela kein einziges Mal an sie gedacht.
»Warum sind Sie denn noch da?« In Angelas Frage lag eine Spur Schuldbewusstsein.
Loren zuckte mit den schmalen Schultern. »Ich dachte, Sie brauchen mich vielleicht noch.«
»Um Himmels willen, nein. Gehen Sie nach Hause! Wir sehen uns morgen Früh.«
»Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie morgen Vormittag einen Termin bei der Manhattan Bank and Trust haben und anschließend mit Mr Calabrese in seinem Büro verabredet sind?«
»Wohl kaum«, erwiderte Angela. »Aber trotzdem danke. Und jetzt nichts wie weg hier!«
»Danke, Frau Dr. Dawson«, sagte Loren und legte verstohlen ihren Roman beiseite.
Angela ging den kahlen Flur entlang. Sie blickte den Terminen des morgigen Tages alles andere als freudig entgegen, und das aus mehreren Gründen. Es war für sie immer eine Erniedrigung, wenn sie irgendwo Geld auftreiben musste, aber jetzt, in dieser verzweifelten Situation, würde das Ganze noch viel demütigender. Noch schlimmer war jedoch, dass es sich bei einem der Menschen, die sie um Geld bitten würde, um ihren Exmann handelte. Fast bei jedem Zusammentreffen – ganz gleich aus welchem Anlass – erwachten die vielen emotionalen Turbulenzen aus der Zeit ihrer Scheidung wieder zum Leben, ganz zu schweigen von dem Ärger darüber, dass sie ihn überhaupt geheiratet hatte. Sie hätte es eigentlich besser wissen müssen. Es hatte zu viele versteckte Anzeichen dafür gegeben, dass er letztendlich nicht anders war als ihr Vater und ihren Erfolg so sehr als persönliche Kränkung auffasste, dass er anfing, sie schlecht zu behandeln.
Vor der geschlossenen Tür zum Sitzungszimmer blieb Angela kurz stehen, holte noch einmal tief Luft und trat ein.
Weitere Kostenlose Bücher