Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
und dann meine Tabelle fertig machen. Warte nicht auf mich. Ich weiß ja, dass du früh schlafen gehen möchtest.«
»Meine Güte, Laurie, das ist doch vergeudete Energie.«
»Kann sein, aber ich kriege so oder so wahrscheinlich nicht viel Schlaf heute Nacht.«
Jack beugte sich zu ihr hinab, um sie in den Arm zu nehmen, doch sie stand auf und schlang die Arme um ihn.
»Bis nachher«, sagte Jack und versetzte ihr mit dem Zeigefinger einen liebevollen Stups auf die Nasenspitze.
»Was war das denn?«, fragte Laurie und wich instinktiv zurück.
Jack zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Nur so eine kleine Zärtlichkeit, ich schätze mal …« Jack unterbrach sich und wirkte mit einem Mal unsicher. »Ich schätze mal, weil ich dich toll finde.«
»Raus hier, du Hornochse«, sagte Laurie und knuffte ihn. Jacks unbeholfene Rührseligkeit drohte Lauries sorgfältig errichtetes Abwehrbollwerk zu zerstören. Auch, wenn sie es sich nicht anmerken ließ: Ihre eigenen, aufgewühlten Emotionen lauerten direkt hinter der brüchigen Fassade. Einerseits wollte sie ihm für seine Operation gerne den Rücken stärken, was ihm, wie jedem anderen, dem so etwas bevorstand, bestimmt gutgetan hätte, aber andererseits wollte sie ihn nicht verlieren und war sehr verärgert darüber, dass er sie einem solchen Konflikt aussetzte.
Jack sammelte seine Krücken ein und lächelte Laurie ein letztes Mal zu, dann ging er. Laurie stand einen Augenblick lang da und betrachtete die Aktenstapel mit ihren fünfundzwanzig MRSA-Fällen. Schnell eilte sie zur Tür und rief hinter Jack her: »Vergiss die antibakterielle Seife heute Abend nicht.«
»Hab ich auf dem Zettel«, antwortete Jack, ohne sich umzudrehen.
Laurie eilte in ihr Büro zurück. Dort blieb sie einen kurzen Augenblick stehen und dachte über die Erkenntnis nach, dass eines der Probleme in einer echten Beziehung zu einem anderen Menschen darin bestand, dass man dem anderen gestatten musste, er selbst zu sein und – im Rahmen eines hoffentlich aufgeklärten Egoismus – eigenständige Entscheidungen zu treffen. Letztendlich lief es aus Lauries Sicht darauf hinaus, dass man, wenn man den anderen wirklich liebte, akzeptieren musste, dass das Universum zwei Mittelpunkte hatte. Die Frage, ob Jack sich nun operieren lassen sollte oder nicht, war dafür ein gutes Beispiel.
Doch dann schob Laurie all die philosophischen Gedanken, die, so schien es ihr, doch nur aus aufgeblasenen und übergeschnappten Wortklaubereien bestanden, beiseite und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Abwechselnd blickte sie das Mikroskop und die Tabelle an. Beide verlangten nach ihr. Die Tabelle war zwar langfristig erfolgversprechender, doch das einer Diatomee ähnliche Ding war verlockender.
Laurie beugte sich über das Okular. Sie wollte die gesamte Gewebeprobe auf diesem Objektträger systematisch absuchen. Vielleicht entdeckte sie ja noch mehr von diesen Gebilden.
Angelo kam an derselben Stelle zum Stehen, an der er und Franco vorhin schon geparkt hatten, bevor sie ihren Beobachtungsposten verlassen hatten. Sie standen am Straßenrand der First Avenue, unmittelbar vor der Kreuzung mit der 30 th Street. Rechter Hand lag das OCME, der Berufsverkehr war in vollem Gang.
Angelo schob den Schalthebel auf Parkstellung und zog die Handbremse an. »Kein Range Rover weit und breit«, sagte er in dem Versuch, sein Verhalten vom Mittag zu rechtfertigen.
»Fang gar nicht erst damit an«, erwiderte Franco und machte es sich gemütlich. Er hatte sich, genau wie Angelo, bei Johnny’s einen Kaffee und ein Sandwich besorgt.
»Richie und Freddie sind jetzt auch da«, sagte Angelo mit einem Blick in den Rückspiegel. Der weiße Lieferwagen schob sich bis auf dreißig Zentimeter an ihre hintere Stoßstange heran.
Franco gab keine Antwort. Mit konzentriertem Blick suchte er die Umgebung ab. Er wollte jede erkennbare Schwierigkeit wie zum Beispiel parkende Streifenwagen oder Streifenpolizisten, die in irgendwelchen Ecken herumlungerten, von vornherein ausschließen.
Angelo nippte an seinem Kaffee und wickelte sein Sandwich aus. Dann warf er einen Blick durch die Windschutzscheibe und schreckte auf.
»Ihr Freund!«, schrie er so laut, dass Franco zusammenzuckte und seinen Schoß mit Kaffee bekleckerte. Ohne darauf zu achten, griff Angelo nach der kleinen, gusseisernen Flasche mit dem Ethylen und einer Plastiktüte.
»Scheiße!«, brüllte Franco und streckte den Rücken durch, um den Hintern vom Sitz zu
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