Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
Hat irgendjemand vielleicht schon einmal an eine Obduktion gedacht? Ich meine, ein Arzt, der nicht genau weiß, was seinem Patienten eigentlich zugestoßen ist, der will es doch genau wissen, und dann bietet sich eine Obduktion an.«
Kashmira war genauso überrascht von diesem Vorschlag wie Jennifer selbst. Erst als sie es ausgesprochen hatte, hatte sie überhaupt an eine Obduktion gedacht, und sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie das tatsächlich wollte. Die Äußerung war eigentlich eher an Kashmira gerichtet gewesen, wahrscheinlich, weil Kashmira und womöglich sogar die Klinik versuchten, sie zu einer Entscheidung zu drängen. Es war zwar irrational, aber irgendwie scheute sie sich davor, die alleinige Verantwortung für einen solch schwerwiegenden Eingriff wie eine Obduktion, eine Einäscherung oder eine Einbalsamierung zu übernehmen. Zusätzlich kam ihr aber auch noch ein neuer Gedanke in den Sinn: Gab es Parallelen zwischen Herbert Benfattis und Marias Tod? Und hätten vielleicht beide verhindert werden können?
»In Indien kann nur die Polizei oder ein Gericht eine Obduktion anordnen, nicht aber der Arzt.«
»Das ist doch ein Witz.«
»Ich mache ganz bestimmt keine Witze.«
»Damit wird doch allen möglichen Mauscheleien zwischen Polizei und Gerichten Tür und Tor geöffnet, wenn Sie mich fragen. Und wenn man aus dem Tod meiner Großmutter etwas lernen könnte, etwas, das vielleicht einem anderen Patienten das Leben rettet? Ich meine, immerhin haben Sie gestern Abend einen ganz ähnlichen Todesfall gehabt. Wenn man die Ursache für den Herzinfarkt meiner Großmutter gekannt hätte, hätte Mr Benfattis Herzinfarkt dann womöglich verhindert und der Mann gerettet werden können?«
»Ich weiß nichts von einem Mr Benfatti«, erwiderte Kashmira fast ein wenig zu schnell. »Was ich weiß, ist, dass wir schon viel zu lange einen Leichnam in diesem Kühlraum haben, der unbedingt entfernt werden muss. Unserer Erfahrung nach wollen die Angehörigen ihre Toten sehr schnell zu sich holen, und darum müssen wir hier und jetzt eine Lösung finden. Es ist ja wohl offensichtlich, dass der Leichnam nicht hier bleiben kann. Der Raum ist einfach nicht dafür geeignet, und sie liegt schon seit Montagabend da.«
»Das ist Ihr Problem«, erwiderte Jennifer. »Ich finde es schockierend, dass Ihre Klinik keine bessere Aufbewahrungsmöglichkeit hat. Ich bin gerade erst in Indien angekommen, nachdem ich fast 24 Stunden im Flugzeug gesessen habe, und ich fange erst an, mich mit den Details zu beschäftigen. Ich bin geistig und körperlich vollkommen erschöpft. Darum gehe ich jetzt wieder ins Hotel und schlafe ein paar Stunden, bevor ich mich entscheide. Außerdem werde ich meiner Botschaft einen Besuch abstatten und mich erkundigen, wie die Frage des Transports zu klären ist. Ich weiß, dass Sie glauben, die Antworten bereits zu kennen, aber ich bin mir da nicht so sicher. Außerdem ist es mir lieber, wenn ich so etwas aus erster Hand erfahre.«
»Aus erster Hand?«
»Das ist eine Redewendung. Sie bedeutet: direkt von der beteiligten Person. Ich werde jetzt ein wenig schlafen, dann gehe ich, wenn möglich, bei der amerikanischen Botschaft vorbei, und dann komme ich wieder hierher.«
»Das ist zu spät. Es muss jetzt eine Entscheidung fallen.«
»Hören Sie zu, Mrs Varini. Ehrlich gesagt habe ich so langsam das ungute Gefühl, dass ich hier zu irgendetwas gedrängt werden soll. Angesichts dieses zweiten Todesfalls vom gestrigen Abend, der für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Ähnlichkeit mit dem meiner Großmutter hat, habe ich noch weniger Lust, eine übereilte Entscheidung zu treffen. Ich meine, Sie haben ja gesagt, dass Sie nichts darüber wissen, und das ist wahrscheinlich auch die Wahrheit, aber ich möchte etwas darüber erfahren. Es ist einfach zu kurz nach dem Tod meiner Großmutter passiert und hört sich zu ähnlich an.«
»Ich bedaure, aber die Patientenakten sind vertraulich. Und was Ihre Person angeht, da hat man mich eindeutig angewiesen, heute Vormittag Ihre Entscheidung einzuholen. Wir können den Leichnam Ihrer Großmutter nicht länger in dieser Kühlkammer lagern.« Um ihre Worte zu unterstreichen, legte Kashmira erneut die Hand an die Kühlraumtür. »Falls Sie nicht bereit sind, zu kooperieren, dann müssen Sie sich, so fürchte ich, direkt mit unserem Direktor auseinandersetzen. Er kann sich kraft seines Amtes an ein Gericht wenden und eine Entscheidung erzwingen.«
»In den
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