Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
rechte Hand und zog mit der linken Hand Kenjis Haut glatt. Vorsichtig setzte sie das dünnere Ende des Metallstabes auf den roten Fleck auf der Haut, setzte kaum Druck darauf, und das runde Ende glitt hinein.
Sie erhöhte den Druck ein wenig, gerade so weit, dass sie kein Gewebe zerstörte und führte den Metallstab weiter in die Wunde, bis das Ende des Einstichkanals erreicht war. Laurie machte ein Foto von der Sonde im Kanal. Dann setzte sie ihre Finger an der Stelle um den Metallstab herum, an dem er in der Haut verschwand, zog ihn heraus und maß die Tiefe. Der Kanal war zweieinhalb Zentimeter lang.
Laurie zog ihre Handschuhe aus und verließ den Autopsiesaal. Unter der Fallnummer fand sie die Röntgenaufnahmen, nahm sie mit in den Saal zurück und klemmte sie an den Sichtkasten. Sorgfältig besah sie sich den entsprechenden Bereich auf der Front-und der Seitenaufnahme in der Hoffnung, eine Kapsel oder etwas dergleichen zu entdecken, aber da war nichts. Das hieß, was auch immer injiziert worden war, konnte sich entweder im Körper selbst auflösen, oder das Gift war direkt verabreicht worden. Welcher Weg auch gewählt worden war, Laurie vermutete, dass die höchste Konzentration der giftigen Substanz am Ende des Kanals zu finden sein musste.
Mit einem neuen Paar Handschuhe ging Laurie zu Kenji zurück, nahm das Skalpell und machte sich an die Arbeit. Sie wollte den ganzen Kanal haben, eingebettet in einen Mantel aus Muskelgewebe von der Größe eines Weinkorkens. Das klang wie eine einfache Aufgabe, aber Laurie hatte damit zu kämpfen. Da das Gewebe weich war, konnte sie leicht in den Kanal schneiden. Sie wollte die Probe in einem Stück haben. Das Seziermikroskop half ihr dabei, aber es verhinderte gleichzeitig den Einsatz ihrer linken Hand, so dass sie es schließlich zur Seite legte.
Während sich Laurie mit dem Skalpell in der Hand weiter durcharbeitete, dachte sie selbstverständlich nebenbei darüber nach, was für ein Gift eingesetzt worden war, nun, da sie absolut überzeugt war, dass Kenji ermordet worden war, vermutlich mit einem Regenschirm-Luftgewehr. Sie wusste bereits, dass es nicht mittels Rizin geschehen war, wie damals bei dem berühmten bulgarischen Fall. Obwohl sie noch nicht wusste, welche Substanz verabreicht worden war, wusste sie doch bereits einiges über ihre Eigenschaften: Sie musste hochgiftig sein, wie das Überwachungsvideo gezeigt hatte. Wie sie in den Aufzeichnungen gesehen hatte, wirkte das Gift praktisch sofort. Sie wusste auch, dass es auf die Nerven wirkte, wie es von einigen Schlangen-und Fischgiften bekannt war, daher der Krampf. Schließlich beschloss sie, sich im Internet über krampfauslösende Nervengifte von Reptilien oder Wasserlebewesen zu informieren.
Laurie mühte sich etwa eine halbe Stunde ab, aber dann sah ihre Probe ziemlich genauso aus, wie sie sie sich vorgestellt hatte: knapp vier Zentimeter lang und zweieinhalb Zentimeter dick.
Laurie holte aus dem Materialraum eine Probeflasche und einen Anhänger, um die Probe zu kennzeichnen. Im Autopsiesaal verstaute sie die Probe in der Flasche und beschriftete den Anhänger, wofür sie darauf die Fallnummer, das Datum und die Stelle am Körper vermerkte, von der die Probe stammte. Dann unterschrieb sie die Angaben. Sie achtete peinlich genau darauf, korrekt zu arbeiten, denn sollte es zu einem Prozess kommen, was sie inzwischen für sehr wahrscheinlich hielt, würde die Probe in ihrer Hand den Hauptbeweis darstellen.
Als sie diese letzte Tätigkeit beendet hatte, sah sie sich nach einem Assistenten um, der ihr helfen konnte. Mit erfahrener Hand hoben sie und der Assistent Kenji vom Autopsietisch und auf die Trage. Laurie selbst rollte den Leichnam aus dem Autopsiesaal hinaus und schob ihn in seine Kühlkammer zurück, in der er für die nächsten Monate aufgehoben werden würde, es sei denn, er hatte das Glück, identifiziert und seinen nächsten Verwandten überstellt zu werden. »Ich weiß, du versuchst, mir etwas mitzuteilen, Kenji«, sagte Laurie in die schwere Stille des Kühlraums hinein, »und ich versuche, dir zuzuhören. Die Person, die dich umgebracht hat, ist bereits hier, nur leider wissen wir bisher nicht, wer ihr beide seid. Hab Geduld!« Sie verließ den Kühlraum und schloss seine schwere kälteisolierende Tür, die dabei einen hallenden Klick erzeugte, der nach Endgültigkeit klang.
Laurie hatte eigentlich vorgehabt, ihre Probe auf direktem Weg ins toxikologische Labor im fünften Stock zu
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