Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
belegt. Marvin winkte von seinem Platz am Kopf des Tisches mit der Nummer vier. Das Glück wollte es, dass Jack und Lou an Tisch fünf gleich nebenan arbeiteten. Sie waren gerade dabei, die Autopsie zu Ende zu bringen, indem sie ihre Schnitte vernähten, wobei Lou das Zusammenflicken übernahm. Er war ein so häufiger Besucher geworden, dass es ihm Spaß machte zu helfen. Laurie blieb kurz stehen, um Hallo zu sagen.
»Hey, wie läuft’s denn so?«, fragte Jack, als er sie bemerkte. »Ich habe gehört, dass du einen Tag ganz ohne einen Einsatz hast, dank unseres furchtlosen Anführers. Was führt dich hierher?«
»Das mit dem freien Tag galt, bevor Kevin Southgate direkt neben euch Jungs krank wurde.«
Jack sah zum Tisch neben sich und nickte Marvin zu, der geduldig wartete. »Das habe ich überhaupt nicht bemerkt«, sagte er und wandte sich wieder Laurie zu. »Selbstverständlich konnte Arnold nicht selbst herkommen und für seinen Freund einspringen.«
»Selbstverständlich nicht«, stimmte Laurie zu. »Aber ich bin ganz froh darüber. Ich wollte einen Fall und ganz besonders einen unkomplizierten!« Da sie sich nicht auf eine Unterhaltung über Arnolds Arbeitsunlust einlassen wollte, welches eine von Jacks Lieblingsärgernissen war, wechselte sie das Thema und fragte, wie die Untersuchung der Schussverletzung verlaufen war.
»Ich würde sagen, ziemlich gut!«, antwortete Jack.
»Und ich stimme dem von ganzem Herzen zu«, fiel Lou ein. »Der Weg, den die Kugel durch die Brust des Fahrers genommen hat, verlief eindeutig von rechts nach links, was bedeutet, dass er nach vorne gesehen hat. Der Einschusskanal wäre gerade durch gewesen, hätte er beim Rückwärtssetzen des Fahrzeugs verdreht auf seinem Sitz gesessen, wie seine Komplizen behauptet hatten. Und der Geschossmantel, der sich gelöst hat, als die Kugel die Windschutzscheibe durchschlug, hat einigen Schaden auf seinem Unterarm angerichtet, was er nicht hätte tun können, hätte er seinen rechten Arm über die Lehne nach hinten gestreckt, wie seine Kumpels behauptet hatten.«
»Glückwunsch!«, sagte Laurie und meinte es auch so. Dies war ein guter Beweis für die Macht der Gerichtsmedizin.
Laurie ging weiter und begrüßte Marvin, der sie mit großer Begeisterung willkommen hieß. Sie hatten sich seit Lauries Rückkehr noch nicht gesehen. Nach einer kurzen Diskussion über das oft harte Los der Elternschaft – Marvin hatte selbst drei Kinder – lenkte Laurie die Unterhaltung auf das Opfer, das ausgestreckt auf dem Autopsietisch vor ihnen lag.
»Also, was haben wir hier?«, fragte sie.
Marvin sagte mit Blick auf den Körper, der schmetterlingsartig auseinandergeklappt dalag, nachdem der typische Y-Schnitt an ihm durchgeführt worden war, um die inneren Organe freizulegen: »Das Opfer ist ein asiatischer Mann, den Dr. Southgate auf circa fünfunddreißig Jahre schätzte, mit einem Gewicht von vierundsechzig Kilo. Er ist auf einem U-Bahnsteig kollabiert. Uns ist seine medizinische Vorgeschichte nicht bekannt, und es wurden keine verschreibungspflichtigen Medikamente bei ihm gefunden.«
Marvin führte seinen Bericht fort, und Laurie nahm die Fallakte zur Hand, aus dem sie den Report des medizinischen Ermittlers herauszog. Cheryl Meyers hatte ihn geschrieben. Während sie Marvin weiter zuhörte, überflog sie den Bericht und stolperte sogleich über die Tatsache, dass das Opfer nicht identifiziert werden konnte.
»Es handelt sich hier um eine nicht identifizierte Person?«, unterbrach Laurie Marvin.
»Jepp!«, sagte Marvin.
Laurie wandte sich wieder der Akte zu und zog den Totenschein und das Formular zur Identifizierung heraus. Letzteres war nicht ausgefüllt, und im ersteren standen nur die dürftigen Informationen, dass der Körper von Rettungssanitätern gefunden wurde, die wegen eines Notrufs zum U-Bahnhof gefahren waren. Sie fanden eine nicht ansprechbare Person, ohne Herzschlag und ohne Blutdruck und konnten keine Atmung feststellen. Eine Herz-Lungen-Reanimation wurde initiiert und bis zur Ankunft in der Notaufnahme des Harlem Hospital Center weiter durchgeführt, wo die Person dann schließlich für tot erklärt wurde.
Laurie sah hoch, ihr Blick traf sich mit Marvins. Für sie war eine nicht identifizierte Person sehr wohl ein komplizierter Fall, und sie war nun doch enttäuscht. Sie wusste, dass ihre Reaktion nicht wirklich rational war, weil sie ihre Tätigkeit als Gerichtsmedizinerin gleich gut ausüben musste, egal, ob die Person
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