Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
einen Mann mittleren Alters anrempelte, der Zeitung las. Gleichzeitig verschwand die Geldbörse mit einer solchen Geschwindigkeit aus seiner Tasche, dass Laurie den Film anhalten musste, den Rücklauf betätigte und dann Bild für Bild wieder vorwärts abspielen ließ.
»Meine Güte«, sagte Laurie und rief Jack zu sich, um diese Sequenz anzusehen. Er war genauso beeindruckt wie sie.
»Was soll ich jetzt machen?«, fragte Laurie.
»Ich möchte nicht wie ein Zyniker klingen, aber selbst, wenn du den Vorfall meldest, glaube ich nicht, dass irgendetwas dabei herauskommt. Die New Yorker Polizei wird überschwemmt mit anderen, schwerwiegenderen Verbrechen.«
Laurie merkte sich die Zeit, zu der der Diebstahl geschehen war, und schrieb sie und die Kameranummer auf die Rückseite eines der Fotos. Sie wollte morgen Murphy die Information geben und ihn entscheiden lassen, was zu tun sei.
Die Aufzeichnung der Kamera Nummer eins war vorbei, und Laurie entschied sich als Nächstes für Kamera Nummer vier, weil sie hoffte, dass die Nummerierung der Kamera ihrer Platzierung am Bahnsteig entsprach, was bedeuten würde, dass Nummer vier näher zur Mitte des Bahnsteigs angebracht wäre, wo Robert Delacroix sich wahrscheinlich aufgehalten hatte. Kamera eins hatte den nördlichen Tunneleingang gezeigt.
Sie hatte erst ein paar Minuten der Aufzeichnungen von Kamera vier verfolgt, als Jack ins Wohnzimmer trat und ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. »Ich werde noch eine Weile im Bett lesen.«
»Okay, Schatz«, sagte Laurie und drückte auf Pause. Sie wusste genau, dass Jacks Vorhaben, im Bett zu lesen, damit endete, dass er nach einer oder zwei Seiten in tiefen Schlaf fiel. »Ich seh dich morgen früh.«
Jack lächelte sie an und wusste, sie hatte recht. Als Antwort ging er zum Sofa, beugte sich vor und küsste ihren Mund. »Bleib nicht stundenlang wach, um diesen Kram anzusehen«, sagte er. »Sonst bekomme ich dich morgen früh nicht aus dem Bett.«
»Ich guck mir nur noch ein bisschen an«, versprach Laurie voller guter Absichten.
Nach Kamera vier schaltete sie auf Kamera fünf. Sie sah einige Minuten lang zu, bis sie ruckartig hochschreckte und realisierte, dass sie eingenickt war. Der stumme Strom der Menschen war hypnotisierend. Da sie nicht wusste, wann sie eingeschlafen war, startete sie die Aufzeichnung noch einmal neu, weil sie fürchtete, genau das zu verpassen, worauf sie wartete.
Sie kämpfte hart darum, wach zu bleiben, wenigstens bis zum Ende der Aufzeichnungen von Kamera fünf, und plötzlich traute sie ihren Augen nicht. Fast in der Mitte des Bildschirms stand der Mann, nach dem sie suchte. Wenigstens glaubte sie das. Schnell drückte sie die Pause-Taste der Fernbedienung, um die Szene einzufrieren. In dieser Einstellung warf der Mann einen Blick zurück über seine Schulter und die Stufen hoch, die er wahrscheinlich gerade erst herabgestiegen war, obwohl er ihr nicht aufgefallen war, bevor sie ihn am Rand des Bahnsteigs entdeckte. Sie hob die Fotos hoch und verglich sie mit dem Standbild. Sie war überzeugt davon, dass der Mann auf den Fotos und der auf dem Bildschirm ein und dieselbe Person war. Obwohl sie aufgrund der weitwinkligen Kameraeinstellung nicht zu einhundert Prozent sicher sein konnte, bestätigte die Zeitangabe ihre Vermutung: Es waren nur noch einige Minuten bis zur Notfallmeldung. Mit Bedacht ließ Laurie die Aufzeichnung rückwärts laufen und beobachtete den Mann, wie er rückwärts die Treppe hochlief. Sogar im Einzelbilddurchlauf konnte man sehen, dass der Mann rannte, so wie er an andere Leute aneckte, die sich eindeutig langsamer bewegten als er. Sie betrachtete die andere Seite des Bildschirms und stellte fest, dass die Schienen leer waren, der Zug war noch nicht eingefahren.
Laurie guckte sich weiter jedes Bild des Rücklaufs an, bis der Mann verschwunden war. Das Einzige, was sie dadurch erfahren hatte, war, dass der Mann eine Leinentasche trug. Sie lehnte sich zurück und sah sich das Video im Vorlauf im normalen Tempo an. Der Mann rannte tatsächlich. »Er möchte eindeutig nicht den Zug verpassen«, sagte Laurie zu sich selbst, während sie zusah, wie er in andere Leute hineinrannte. In der normalen Ansicht wirkten die Zusammenstöße heftiger als in der langsamen Einstellung.
Der Mann drückte sich in die Menge auf dem Bahnsteig, womit er ganz offensichtlich die Leute verärgerte. Ein Mann griff sogar nach dem Arm des Asiaten, aber der riss sich frei und zwängte sich weiter
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