Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
Wartezimmer zu sitzen?«
»Im Leben geht es manchmal verrückter zu als im Krimi«, bemerkte Jack.
»Soll ich Dr. Levitz einen Besuch abstatten und ihn über Franconi ausquetschen?« fragte Bart.
»Das mache ich lieber selber«, erwiderte Jack. »Ich habe den leisen Verdacht, daß in diesem Fall wichtiger ist, was Franconis Arzt nicht sagt, als das, was er ausplaudert. Konzentrieren Sie sich lieber darauf, herauszufinden, wo Franconi die neue Leber bekommen hat. Ich glaube, das ist die Schlüsselinformation für die Klärung dieses Falls. Wer weiß, vielleicht deckt sich alles auf, wenn wir endlich wissen, wo sie ihm die Leber eingesetzt haben.«
»Da sind Sie ja!« dröhnte eine Stimme durch den Raum. Jack und Bart sahen auf. In der Tür stand Dr. Calvin Washington, der stellvertretende Leiter des Instituts. Seine stattliche Figur füllte buchstäblich den gesamten Türrahmen aus. »Ich habe Sie schon im ganzen Haus gesucht, Stapleton!« raunzte Calvin. »Kommen Sie mit! Der Chef will mit Ihnen sprechen.«
Jack zwinkerte Bart zu und erhob sich. »Wahrscheinlich will er mir wieder eine Belobigung zukommen lassen. Wäre ja nicht das erste Mal.«
»Ich würde den Mund an Ihrer Stelle nicht so voll nehmen«, geiferte Calvin und machte Jack Platz, damit er vorbeigehen konnte. »Sie haben den alten Mann ganz schön auf die Palme gebracht.«
Jack folgte Calvin in den Verwaltungstrakt. Bevor er das Vorzimmer betrat, warf er einen flüchtigen Blick in den Warteraum, in dem sich an diesem Tag mehr Journalisten als sonst versammelt hatten.
»Ist irgend etwas Besonderes vorgefallen?« fragte Jack. »Das müssen gerade Sie fragen«, entgegnete Calvin wütend. Jack verstand zwar nicht, worauf Calvin hinauswollte, doch es ergab sich auch keine weitere Gelegenheit, nachzuhaken. Calvin erkundigte sich bereits bei Mrs. Sanford, Binghams Sekretärin, ob der Chef frei sei.
Wie sich herausstellte, hatte Bingham gerade keine Zeit. Jack wurde dazu verbannt, gegenüber von Mrs. Sanfords Schreibtisch auf einer Bank Platz zu nehmen. Allem Anschein nach war sie genauso aufgebracht wie ihr Chef und warf Jack hin und wieder finstere Blicke zu. Jack kam sich vor wie ein ungezogener Schuljunge, der darauf wartete, daß der Direktor ihm die Leviten las. Calvin nutzte die Zeit, um von seinem Büro aus ein paar Anrufe zu erledigen.
Jack ahnte natürlich, warum der Chef so sauer auf ihn war. Er überlegte, wie er ihm sein Verhalten würde erklären können, doch leider wollte ihm einfach nichts Vernünftiges einfallen. Schließlich hätte er ohne weiteres bis zum morgendlichen Eintreffen Binghams auf die Röntgenbilder von Franconi warten können.
»Sie können jetzt reingehen«, sagte Mrs. Sanford, ohne ihr Tippen zu unterbrechen. Sie hatte aus dem Augenwinkel bemerkt, daß das Lämpchen an der Nebenstelle erloschen war; ihr Chef hatte sein Telefonat also beendet.
Als Jack das Büro betrat, hatte er ein Déjà-vu-Erlebnis. Vor einem Jahr, als ihn eine ganze Serie mysteriöser Infektionsfälle in Atem gehalten hatte, hatte er seinen Chef mit seiner Hartnäckigkeit zur Raserei getrieben und sich mehrmals in dessen Büro einfinden müssen.
»Kommen Sie rein, und setzen Sie sich!« forderte Bingham ihn auf.
Jack nahm vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten Platz. Die letzten Jahre waren nicht spurlos an Bingham vorübergegangen; er wirkte deutlich älter als dreiundsechzig. Er starrte Jack durch seine Drahtgestellbrille an. Seine Hängewangen und seine schlaffe Haut ließen zwar sein Alter erkennen, seine Augen jedoch strahlten die gleiche Intensität und Intelligenz aus wie eh und je.
»Da war ich gerade auf bestem Wege, zu glauben, Sie würden sich endlich in unsere Struktur einfügen«, begann Bingham. »Und dann wieder so was!«
Jack antwortete nicht. Er hielt es für das beste, zu schweigen, bis sein Chef ihm eine konkrete Frage stellte. »Dürfte ich wenigstens erfahren, warum Sie das getan haben?« kam Bingham ihm entgegen. Er hatte eine rauhe, sehr tiefe Stimme.
»Aus Neugier«, sagte Jack und zuckte mit den Achseln. »Ich war total aufgedreht und konnte nicht länger warten.«
»Neugier!« brüllte Bingham. »Mit der gleichen lahmen Entschuldigung sind Sie mir doch auch schon vor einem Jahr gekommen, als Sie sich ständig meinen Anordnungen widersetzt und im MGH alle Leute gegen sich aufgebracht haben.«
»Bei mir wissen Sie wenigstens, woran Sie sind«, entgegnete Jack.
Bingham schäumte fast vor Wut. »Und unverschämt
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