Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
musste, um ihre Hand zu halten und mir ihr Theater anzuhören. Und wozu? Sie hat so gut wie nie etwas von dem beherzigt, was ich ihr empfohlen habe, sie hat nicht einmal mit dem Rauchen aufgehört. Sie rauchte wie ein Schlot, ganz gleich, was ich sagte.«
»Wirklich?«, fragte Leona, die sich nicht länger zurückhalten konnte. »Sie hat ständig gehustet und trotzdem weitergeraucht?«
»Weißt du nicht mehr, wie es in ihrem Schlafzimmer nach Zigarettenrauch gestunken hat?«
»Eigentlich nicht«, sagte Leona und schüttelte den Kopf. »Ich war zu überwältigt von der ganzen Situation, um irgendetwas zu riechen.«
»Sie hat geraucht, als gäbe es kein Morgen, eine Zigarette nach der anderen, mehrere Päckchen am Tag. Und das war noch nicht einmal alles. Ich sage dir, sie war der Inbegriff einer widerspenstigen Patientin, vor allem, was ihre Arzneien anging. Sie verlangte ständig nach Rezepten, und dann nahm sie die Medikamente oder auch nicht, ganz nach Lust und Laune.«
»Hattest du denn eine Vermutung, warum sie deinen Anweisungen nicht folgte?«
»Wahrscheinlich weil sie gerne krank war. Es gab ihr etwas zu tun. Damit hat sich’s auch schon. Sie war eine reine Zeitverschwendung, für mich, für ihren Mann, sogar für sich selbst. Ihr Tod war ein Segen für jeden. Sie hatte kein Leben.«
Craig hatte sich so weit beruhigt, dass er von seinem Scotch trinken konnte, ohne etwas zu verschütten.
»Ich erinnere mich an die wenigen Male, als ich ihr in der Praxis begegnet bin. Da schien sie ganz schön anstrengend zu sein«, sagte Leona besänftigend.
»Das ist die Untertreibung des Jahres«, knurrte Craig. »Sie war eine richtige alte Hexe, die etwas Geld geerbt hatte, weshalb sie von mir erwartete, ihre Hand zu halten und mir bis zum Erbrechen ihre Klagen anzuhören. Ich habe mich durch vier Jahre College, vier Jahre Medizinstudium, fünf Jahre Assistenzarztzeit und die Zulassung gekämpft und darüber hinaus noch eine Handvoll wissenschaftlicher Aufsätze verfasst, und alles, was sie von mir wollte, war, ihre Hand zu halten. Nicht mehr, und wenn ich fünfzehn Minuten Händchen hielt, dann wollte sie dreißig, und wenn ich ihr dreißig Minuten gab, dann wollte sie fünfundvierzig, und wenn ich mich weigerte, war sie beleidigt und reagierte aggressiv.«
»Vielleicht war sie einsam«, schlug Leona vor.
»Auf wessen Seite stehst du eigentlich?«, fragte Craig wütend. Er knallte sein Glas auf den Tisch, so dass die Eiswürfel klirrten. »Sie war eine elende Nervensäge.«
»Meine Güte, reg dich ab!«, drängte Leona. Sie sah sich verlegen um und bemerkte erleichtert, dass niemand ihnen auch nur die geringste Beachtung schenkte.
»Fang jetzt bloß nicht an, den Anwalt des Teufels zu spielen«, fauchte Craig. »Dazu bin ich nicht in der Stimmung.«
»Ich versuche doch nur, dir zu helfen.«
»Wie soll ich mich denn beruhigen? Das ist eine Katastrophe. Mein ganzes Leben lang habe ich dafür gearbeitet, der beste Arzt zu werden. Zum Teufel, ich arbeite immer noch daran. Und jetzt das!« Wütend schlug Craig auf den Umschlag.
»Aber ist das nicht der Grund, warum du diese Berufshaftpflichtversicherung bezahlst, über die du dich immer beklagst?«
Craig starrte Leona aufgebracht an. »Ich glaube, du verstehst das nicht richtig. Dieser Spinner Stanhope diffamiert mich öffentlich, indem er, wie er es nennt, ›rechtliches Gehör‹ verlangt. Der Prozess ist das Problem. Ganz gleich, was kommt. Ich bin hilflos, ein Opfer. Und niemand weiß, wie die Sache ausgeht, wenn man vor Gericht gestellt wird. Es gibt keine Garantie, nicht einmal in meiner Situation, obwohl ich mir für meine Patienten ein Bein ausgerissen habe, vor allem für Patience Stanhope, verdammt noch mal. Und dann die Vorstellung, dass angeblich meinesgleichen über mich urteilen sollen! Das ist doch wohl ein schlechter Witz. Bürogehilfinnen, Klempner und pensionierte Lehrer haben keine Ahnung, was es bedeutet, ein Arzt zu sein und mitten in der Nacht aufzustehen, um Hypochondern das Händchen zu halten. Gottverflucht noch mal!«
»Kannst du es ihnen denn nicht erzählen? Mach es doch zum Bestandteil deiner Aussage.«
Craig verdrehte entnervt die Augen. Manchmal machte Leona ihn wahnsinnig. Das war der Nachteil einer so jungen, unerfahrenen Frau.
»Warum glaubt er denn, es sei ein Behandlungsfehler gewesen?«, fragte Leona.
Craig wandte den Blick von ihr ab und ließ ihn zu all den normalen, attraktiven Menschen schweifen, die sich an der Bar
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