Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
paar Dinge hier im Büro abschließen. Nachdem ich im Hotel eingecheckt habe, rufe ich bei euch an. Ich brauche eine vollständige Akte des Falls: alle Aussageprotokolle aus dem Beweiserhebungsverfahren, Beschreibungen oder Kopien von sämtlichen Beweisen und, wenn du kannst, Mitschriften von allen Zeugenaussagen vor Gericht.«
»Du übernachtest nicht im Hotel!«, erklärte Alexis kategorisch. »Das kommt gar nicht in Frage. Du musst bei uns wohnen. Wir haben reichlich Platz. Ich muss dich sehen, und so wäre es das Beste für die Mädchen. Bitte, Jack.«
Es kam keine Antwort.
»Bist du noch da?«, fragte Alexis.
»Ja, bin ich.«
»Wenn du dir schon die Mühe machst, hierherzukommen, will ich dich bei uns zu Hause haben. Wirklich. Das wird uns allen guttun, wobei das vielleicht nur eine selbstsüchtige Ausrede ist, weil ich weiß, dass es mir guttun wird.«
»Na gut«, sagte Jack leicht widerstrebend.
»Es gab bei der Verhandlung bis jetzt noch keine Zeugenaussagen. Im Moment hält Craigs Anwalt gerade sein Eröffnungsplädoyer. Die Verhandlung steht noch ganz am Anfang.«
»Je mehr Material du mir zur Verfügung stellen kannst, desto größer ist die Chance, dass mir etwas einfällt.«
»Dann versuche ich auch, dir die Eröffnung des klägerischen Anwalts zu besorgen.«
»Na gut, dann sehe ich dich also wahrscheinlich heute Abend.«
»Danke, Jack. Jetzt wo ich weiß, dass du kommst, fühlt es sich fast schon wieder an wie in alten Zeiten.«
Alexis beendete das Gespräch und ließ das Handy zurück in ihre Handtasche gleiten. Selbst wenn Jack ihnen tatsächlich nicht helfen konnte, war sie doch froh darüber, dass er kam. Er würde ihr den emotionalen Halt bieten, den nur ein Familienmitglied schenken konnte. Sie ging zurück durch die Sicherheitskontrollen und fuhr mit dem Aufzug hinauf in den zweiten Stock. Als sie den Gerichtssaal betrat und die schwere Tür so leise wie möglich hinter sich schloss, hörte sie, dass Randolph immer noch dabei war, die schädlichen Auswirkungen der wirtschaftlichen Aspekte des Gesundheitswesens auf den Alltag eines praktizierenden Arztes zu beschreiben. Nachdem sie sich einen Platz gesucht hatte, der so nah wie möglich bei den Geschworenen lag, sah sie ihren glasigen Blicken an, dass sie Randolphs Vortrag auch nicht gebannter zuhörten als vorher. Alexis war noch froher darüber, dass Jack kommen würde. Es gab ihr das Gefühl, etwas zu unternehmen.
Kapitel 5
New York City
Montag, 5. Juni 2006
15.45 Uhr
N ach dem Gespräch mit seiner Schwester blieb Jack noch ein paar Minuten an seinem Schreibtisch sitzen und trommelte mit den Fingern auf der metallenen Oberfläche herum. Er war nicht ganz offen zu ihr gewesen. Mit ihrer Einschätzung, warum er es vermieden hatte, sie zu besuchen, hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen, was er nicht wirklich zugegeben hatte. Schlimmer noch, er hatte ihr nicht gestanden, dass es immer noch zutraf. Im Grunde könnte die Situation mittlerweile sogar noch schlimmer geworden sein, da Meghan und Christina, Alexis’ jüngere Töchter, genauso alt waren wie seine verstorbenen Töchter Tamara und Lydia. Trotzdem fühlte er sich ihr verpflichtet, wenn er daran dachte, wie nah er und Alexis sich damals in Indiana gestanden hatten. Er war fünf Jahre älter als sie, und der Altersunterschied war gerade groß genug, dass er ihr gegenüber eine Elternrolle einnehmen konnte, aber auch nicht zu groß für eine enge geschwisterliche Beziehung. Dieser Umstand und seine Schuldgefühle, weil er Alexis die gesamten zehn Jahre, die er inzwischen in New York lebte, aus dem Weg gegangen war, machten es ihm unmöglich, ihre Bitte abzuschlagen. Leider würde das nicht ganz einfach werden.
Er stand auf und schwankte kurz, mit wem er zuerst reden sollte. Sein erster Impuls war Laurie, auch wenn ihn diese Aussicht nicht sonderlich lockte, da sie wegen der Hochzeitsvorbereitungen ziemlich angespannt war; ihre Mutter machte sie wahnsinnig, und sie wiederum machte ihn wahnsinnig. Und so kam er zu dem Schluss, dass es vielleicht sinnvoller wäre, als Erstes mit Calvin Washington, dem stellvertretenden Chef zu sprechen. Calvin musste Jack den freien Tag bewilligen. Für den Bruchteil einer Sekunde schoss ihm die Hoffnung durch den Kopf, dass Calvin ihm den Fehltag verweigern würde, da sowohl Jack als auch Laurie ab Freitag bereits zwei Wochen Urlaub genommen hatten. In diesem Fall wären seine Probleme gelöst. Aber eine so praktische
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