Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
nicht, dass Sie Verwandte in Boston haben. Ich dachte immer, Sie stammten aus irgendeinem Nest im Mittleren Westen.«
»Eine Schwester«, entgegnete Jack lediglich.
»Werden Sie pünktlich zu Ihrem Urlaub wieder zurück sein?«, fragte Calvin.
Jack lächelte. Er kannte Calvin gut genug, um zu wissen, dass das der Versuch eines Scherzes war. »Ich werde mein Möglichstes tun.«
»Über wie viele Tage reden wir?«
»Das kann ich noch nicht genau sagen, aber ich hoffe, einer reicht.«
»Dann halten Sie mich auf dem Laufenden«, entgegnete Calvin. »Weiß Laurie schon von dieser unerwarteten Entwicklung?« Mit der Zeit hatte Jack erkannt, dass Calvin eine beinahe väterliche Zuneigung zu Laurie gefasst hatte.
»Noch nicht, aber sie steht ganz oben auf meiner Liste. Ehrlich gesagt, sie ist die Einzige auf meiner Liste.«
»Na gut! Und jetzt raus hier. Ich muss arbeiten.«
Nachdem Jack sich bei seinem stellvertretenden Chef bedankt hatte, woraufhin dieser ihn lediglich mit einem Wink hinausscheuchte, verließ er den Verwaltungsbereich und ging hinunter in die Sektionsebene. Er winkte dem Sektionsgehilfen im Büro der Leichenhalle und dem Sicherheitschef im Büro des Sicherheitsdienstes grüßend zu. Ein Schwall dessen, was die Einwohner von New York City als frische Luft bezeichnen, wehte von der offenen Ladezone an der 30th Street herein. Er wandte sich nach rechts und ging über den fleckigen nackten Betonboden an dem großen begehbaren Kühlraum und den Einzelkühlfächern vorbei. Als er den Sektionsraum erreichte, sah er durch das Drahtglasfenster hinein. Zwei Gestalten in kompletten Schutzanzügen waren gerade dabei, aufzuräumen. Eine einzelne Leiche mit einer vernähten Sektionsnarbe lag auf dem ersten Tisch. Die Autopsie war offensichtlich beendet.
Jack öffnete die Tür einen Spaltbreit und fragte mit lauter Stimme nach Dr. Montgomery. Eine der Gestalten antwortete, dass sie vor fünf Minuten gegangen sei. Leise vor sich hin fluchend, machte Jack kehrt und fuhr mit dem Aufzug zurück in den vierten Stock. Während der Fahrt überlegte er hin und her, wie er die Situation für Laurie leichter machen könnte. Er ahnte, dass sie von dieser neuen Entwicklung nicht gerade begeistert sein würde, vor allem da ihre Mutter sie wegen der Feier am Freitag so unter Druck setzte.
Er fand sie in ihrem Büro, wo sie gerade dabei war, ihren Schreibtisch zu ordnen. Sie war offensichtlich gerade erst angekommen. Riva telefonierte immer noch und ignorierte sie beide. »Was für eine nette Überraschung«, begrüßte Laurie ihn fröhlich.
»Hoffentlich«, entgegnete Jack. Er lehnte sich an ihren Schreibtisch und schaute zu ihr hinunter. Es gab keinen weiteren Stuhl. Die Rechtsmediziner waren in dem veralteten Gebäude des Instituts nicht nur gezwungen, sich zu zweit ein Büro zu teilen, diese waren darüber hinaus auch noch klein. Außer zwei Schreibtischen und zwei Aktenschränken hatte in dem Raum nichts mehr Platz.
Fragend ruhten Lauries blaugrüne Augen auf ihm. Ihr Haar hatte sie auf dem Kopf mit einer Klammer aus Schildpattimitat gebändigt. Ein paar lose Strähnen kringelten sich vor ihrem Gesicht. »Was meinst du mit ›hoffentlich‹? Was um Himmels willen möchtest du mir erzählen?«, fragte sie argwöhnisch.
»Meine Schwester Alexis hat gerade angerufen.«
»Wie schön. Geht es ihr gut? Ich habe mich schon gefragt, warum ihr beide nicht häufiger Kontakt habt, vor allem seit sie und ihr Mann diese Probleme haben. Sind sie noch zusammen?«
»Es geht ihr gut, und ja, sie sind noch zusammen. Sie hat seinetwegen angerufen. Er macht gerade eine schwierige Phase durch. Jemand hat ihn wegen eines Behandlungsfehlers verklagt.«
»Oh, wie schade, vor allem, wo du erzählt hast, dass er ein so guter Arzt sei. Ich hasse es, so etwas zu hören, gerade bei allem, was wir Rechtsmediziner über manche Ärzte wissen, die tatsächlich verklagt werden sollten.«
»Schlechte Ärzte haben ein viel besseres Risiko-Management, um ihre mangelnden Fähigkeiten und Kenntnisse auszugleichen.«
»Was ist los, Jack? Ich weiß, dass du nicht hergekommen bist, um mit mir über die momentane Mode des Ärzte-Verklagens zu reden, da bin ich mir sicher.«
»Offensichtlich läuft der Prozess meines Schwagers nicht gut, zumindest Alexis zufolge, und da sein ganzes Ego daran hängt, Arzt zu sein, vermutet sie, dass er dekompensieren wird, wenn er verliert. Außerdem glaubt sie, dass dann ihre Ehe und die ganze Familie endgültig
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