Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
gewesen, die nach der Depression zum Vorschein gekommen war. Als die Wirkung des Adrenalins allmählich nachließ, fühlte er sich schwach. Ohne jede Ahnung, wo er sich befand, aber in Sichtweite einiger Straßenschilder hielt er am Straßenrand im Schatten einer gewaltigen Eiche, um sich zu orientieren.
Während der Fahrt hatte Jack mit dem Gedanken gespielt, einfach hinaus zum Flughafen zu fahren, die ganze Sache zu vergessen und zurück nach New York zu fliegen. Dafür sprach zum einen das Brennen in seiner linken Gesichtshälfte und die Tatsache, dass die Möglichkeit, eine Autopsie durchzuführen, um seiner Schwester und Craig zu helfen, gestorben war. Und das zweite überzeugende Argument war sein Hochzeitstermin, der mit Warp-Geschwindigkeit näher rückte.
Doch das konnte er einfach nicht. Sich heimlich aus der Stadt zu schleichen war feige. Er nahm den Stadtplan zur Hand und versuchte zu erraten, nach welcher der großen Durchfahrtsstraßen er suchen sollte und in welche Richtung sie wohl liegen mochte. Das war nicht leicht, denn die Straße, in der er sich befand, war auf dem Plan nicht eingezeichnet. Sie war entweder zu klein oder lag außerhalb des dargestellten Bereichs. Das Problem war, dass er nicht wusste, welches von beidem der Fall war.
Als er sich gerade anschickte, wieder loszufahren und aufs Geratewohl eine Hauptstraße zu suchen, klingelte plötzlich sein Handy. Er griff in seine Tasche und holte es heraus. Die Nummer kam ihm nicht bekannt vor. Er nahm das Gespräch an und meldete sich.
»Dr. Stapleton, hier ist Jordan Stanhope. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Es gab schon angenehmere Zeiten in meinem Leben, aber im Großen und Ganzen ist alles in Ordnung.« Der Anruf überraschte ihn.
»Ich wollte mich für die Art und Weise entschuldigen, wie Mr Fasano und sein Partner Sie in meinem Haus behandelt haben.«
»Danke«, entgegnete Jack. Ihm fielen noch andere, geistreichere Erwiderungen ein, aber er biss sich auf die Zunge.
»Ich habe gesehen, wie Sie geschlagen wurden. Und ich war beeindruckt von Ihrer Reaktion.«
»Dazu bestand kein Grund. Es war beschämend dämlich von mir, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Mann bewaffnet war.«
»Meiner Meinung nach hatte er sich das selbst zuzuschreiben.«
»Ich bezweifle, dass er Ihre Ansicht teilt. Dieser Teil meines Besuchs hat mir am wenigsten gefallen.«
»Mir ist bewusst geworden, was für ein Rüpel Mr Fasano ist. Und das ist mir sehr unangenehm.«
Es ist noch nicht zu spät, um die Hunde zurückzupfeifen, dachte Jack, sprach es jedoch nicht aus.
»Außerdem kommen mir allmählich Bedenken, nicht nur, was seine Strategien betrifft, sondern auch, weil er scheinbar nicht das geringste Interesse daran hat, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Willkommen in der Welt der Anwälte«, entgegnete Jack. »Unglücklicherweise besteht bei Zivilprozessen das Ziel in einer Klärung der Streitfrage, nicht darin, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Nun, ich werde mich daran jedenfalls nicht beteiligen. Ich werde die Exhumierungsgenehmigung unterschreiben.«
Kapitel 9
Newton, Massachusetts
Dienstag, 6. Juni 2006
19.30 Uhr
A ls Jack schließlich wieder beim Haus der Bowmans ankam, war es zu spät, um noch eine Runde Basketball in Erwägung zu ziehen. Er hatte auch das Abendessen mit den Mädchen verpasst, die sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, um für die anstehenden Prüfungen zu lernen. Anscheinend war seine Anwesenheit im Haus bereits zur Gewohnheit geworden, denn keines von ihnen kam herunter, um ihn zu begrüßen. Zum Ausgleich hatte Alexis ihn überschwänglich empfangen und sofort seine gerötete, blutunterlaufene, angeschwollene linke Gesichtshälfte bemerkt.
»Was um Himmels willen ist passiert?«, hatte sie besorgt gefragt.
Jack hatte sie abgewimmelt und behauptet, es sei nichts, aber versprochen, ihr später alles zu erklären, wenn er sich frisch gemacht habe. Er hatte das Thema gewechselt, indem er sich nach Craig erkundigt hatte. Alexis hatte nur erwidert, dass er im großen Wohn-Ess-Zimmer sei, ohne näher darauf einzugehen.
Jack war kurz unter die Dusche gesprungen, um den Tag abzuwaschen, und als er nun wieder herauskam, wischte er den beschlagenen Badezimmerspiegel frei, um einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Nach dem heißen Wasser war die Röte noch tiefer als zuvor. Was er bis dahin nicht bemerkt hatte, war eine kleine hellrote, flammenförmige Blutung im weißen Teil seines Augapfels.
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