Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
hatten.
»Es ist zwar nicht gut für Craigs Verfahren, aber die Bezeichnung der Sekretärinnen für diese Patienten war tatsächlich zutreffend.«
»Was meinst du damit?«, fragte Jack. Unwillkürlich bemerkte er, dass sich die Röte in Alexis’ Gesicht noch vertieft hatte. Dieses Thema schien sie sehr zu erregen.
»Weil sie Problempatienten waren, jeder einzelne von ihnen. In Wirklichkeit war die Bezeichnung Problempatient für sie noch nicht einmal ausreichend. Es waren Hypochonder der übelsten Sorte. Ich weiß das, weil Craig mir von ihnen erzählte. Sie verschwendeten seine Zeit. Sie hätten einen Psychiater oder einen Psychologen aufsuchen sollen, jemanden, der ihnen möglicherweise dabei hätte helfen können, ihre Probleme aufzuarbeiten. Und Patience Stanhope war die Schlimmste von allen. Es gab eine Phase, vor etwa einem Jahr, da hat sie Craig einmal in der Woche aus dem Bett geklingelt und zu einem überflüssigen Hausbesuch gerufen. Es hat die ganze Familie belastet.«
»Also warst du wütend auf Patience Stanhope?«
»Natürlich war ich wütend. Nicht lange nach dieser Zeit, in der sie so anstrengend war, ist Craig dann ausgezogen.«
Jack musterte das Gesicht seiner Schwester. Er wusste, dass sie als Kind einen Hang zur Theatralik gehabt hatte, und ihre Reaktion auf Patience Stanhope ließ vermuten, dass diese Neigung nicht völlig verschwunden war. Sie hatte sich vollkommen in Rage geredet.
»Dann hat es dir also nicht leidgetan, als sie gestorben ist?«, bemerkte Jack, und es war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Leidgetan? Ich war glücklich. Ich hatte ihm oft gesagt, er solle sie aus seiner Praxis werfen: einen anderen Arzt für sie finden, am besten einen Psychiater. Aber du kennst ja Craig. Er hat sich immer geweigert. Er hatte keine Probleme damit, Patienten zur weiterführenden Behandlung an Spezialisten zu überweisen, aber die Vorstellung, einen Patienten einfach aufzugeben, war gleichbedeutend mit einer Niederlage. Das konnte er nicht.«
»Wie viel hat er schon getrunken?«, fragte Jack, um das Thema zu wechseln. Er nickte zu Craigs regloser Gestalt hinüber.
»Zu viel, wie jeden Abend.«
Jack nickte. Er wusste, dass Drogen- und Alkoholmissbrauch keine unüblichen Folgen waren, wenn Ärzte wegen eines Behandlungsfehlers verklagt wurden.
»Wo wir gerade davon sprechen, was möchtest du trinken?«, fragte Alexis. »Bier oder Wein? Wir haben beides im Kühlschrank.«
»Ein Bier wäre genau das Richtige«, antwortete Jack.
Jack bekam sein Bier, und während Alexis sich um sein Abendessen kümmerte, schlenderte er hinüber zum Sofa. Obwohl Craig seine Haltung um keinen Zoll veränderte, hoben sich seine blutunterlaufenen Augen und suchten Jacks Blick.
»Es tut mir leid, dass es so ein entmutigender Tag im Gericht war«, sagte Jack in der Hoffnung, Craig zu einem Gespräch zu bewegen.
»Wie viel davon hast du mitbekommen?«, fragte Craig mit schleppender Stimme.
»Nur die Aussage deiner Rezeptionistin Marlene, und die war nicht gerade erfreulich.«
Craig wedelte mit der Hand, als wollte er unsichtbare Insekten verscheuchen, sagte jedoch nichts. Sein Blick wanderte zurück zum leeren Fernsehbildschirm.
Jack hätte ihn gerne nach der PP-Kennzeichnung gefragt, weil er verstehen wollte, was Craig dazu bewogen haben mochte, etwas so politisch Unkorrektes und Dummes zu tun, aber er schwieg. Es hätte nichts gebracht, außer seine morbide Neugier zu befriedigen. Alexis hatte recht. Es war Arroganz gewesen. Craig war einer jener Ärzte, die felsenfest davon überzeugt waren, dass alles, was sie taten, edel war, da der Kern ihres Tuns im Hinblick auf Engagement und Aufopferung tatsächlich edel war. Es war ein unseliges Anspruchsdenken.
Da Craig sich als nicht besonders gesprächig erwies, spazierte Jack zurück in die Küche und ging mit Alexis hinaus auf die Terrasse, wo sie sein Steak grillte. Alexis war begierig darauf, über etwas Fröhlicheres zu reden. Sie wollte alles über Laurie und die Hochzeitsvorbereitungen erfahren. Jack erzählte ihr die wesentlichen Fakten, war aber nicht gerade Feuer und Flamme für dieses Thema, denn er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er in Boston war und die ganzen Einzelheiten, die noch in letzter Minute zu klären waren, Laurie überließ. Es war in mehrerlei Hinsicht eine unhaltbare Position. Ganz gleich, was er tat, er war zu einem schlechten Gewissen verdammt. Wenn er zurück nach New York flog, würde er das Gefühl haben, Alexis im
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