Monuments Men
in New York City.
Doch wie alle anderen stellte auch Kirstein 1942 seine Pläne zurück. Da er ständig zu wenig Geld hatte, um seine unterschiedlichen Projekte zu finanzieren, und die Zukunft unsicher war, er aber kein einfacher Soldat in der Armee werden wollte, bewarb er sich bei den Reservisten der Marine. Er wurde abgelehnt, weil er wie die meisten Juden – aber auch Schwarze, Asiaten und Südeuropäer – nicht die rassismusverdächtige Voraussetzung erfüllte, dass er zumindest in der dritten Generation amerikanischer Staatsbürger war. 160 Bei der Küstenwache fiel er wegen seiner Sehschwäche durch. Daher ging er im Februar 1943 als Soldat zur Armee. »Mit 36 habe ich mühsam etwas vollbracht, was mit 26 noch hart gewesen wäre und mit 16 noch Spaß gemacht hätte«, berichtete er seinem engen Freund Archibald MacLeish, der damals Leiter der Library of Congress war, über seine Erfahrungen im Ausbildungslager. 161 Gegenüber einem anderen Freund bekannte er: »Ich bin ein alter Mann und finde die Gangart hier sehr anstrengend ... Ich bin so müde, weil ich nicht schlafen kann, aber ich glaube, sie achten nur darauf, dass man viereinhalb Stunden Schlaf bekommt ... Ich habe gelernt (zumindest einigermaßen), wie man schießt und ein Gewehr auseinandernimmt, sich von einem nicht sehr großen Panzer herunterrollt, sehr langsam einen schrecklichen Hinderniskurs bewältigt und in vorbereitete Wasserhindernisse fällt. Mir macht das keinen großen Spaß – den meisten anderen aber schon.« 162 Zumindest, so scherzte er, sei es ihm gelungen, 20 Kilo abzunehmen.
Nach dem Abschluss der Grundausbildung wurde Kirstein ein drittes, viertes und fünftes Mal abgelehnt: von der Abteilung Spionageabwehr des Kriegsministeriums, vom Aufklärungsdienst der Armee und auch vom Signal Corps. Schließlich begann er eine Pionierausbildung in Fort Beltvoir, Virginia, wo er Befehlshandreichungen schrieb. Gelangweilt von den langsamen Abläufen im Militär, begann Kirstein von Soldaten geschaffene Kunstwerke zu dokumentieren, zunächst von den übrigen Pionierschülern in Fort Beltvoir, dann auch von anderen Armeeangehörigen. Mithilfe zahlreicher Freunde und Korrespondenten entwickelte der rastlose Kirstein sein »War Art Project« allmählich zu einem großen, von der Armee unterstützten Unternehmen. Im Herbst 1943 wurden neun Bilder und Skulpturen von Soldaten, die von Lincoln Kirstein ausgewählt worden waren, in der Zeitschrift Life vorgestellt. Dann präsentierte er diese und weitere Werke in der Ausstellung »American Battle Art«, die in der National Gallery of Art und der Library of Congress in Washington, D.C., gezeigt wurde.
Mittlerweile hatte die Roberts-Kommission Kirstein eine Stelle in der MFAA angeboten. Er war kein Offizier, aber die Kommission hatte sich wegen seiner herausragenden Qualifikationen für ihn eingesetzt. Kirstein war hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe zum War Art Project und seiner Bewunderung für die Mission der MFAA, doch am Ende entschied er sich für den Schutz und die Erhaltung von Kulturgütern. Er kam im Juni 1944 in England an, zusammen mit drei weiteren Monuments Men im Unteroffiziersrang, die darauf brannten, an einer wirkungsvollen, klar umrissenen militärischen Operation teilzunehmen.
Davon konnte allerdings keine Rede sein. Die ursprünglichen 15 Monuments Men befanden sich entweder in der Normandie oder warteten auf die Überfahrt über den Ärmelkanal. In der Basis in Shrivenham tummelten sich zivile Experten und Offiziere von Civil Affairs, aber es fehlte eine militärische Struktur in Bezug auf die MFAA. Da die ausgebildeten Offiziere im aktiven Einsatz waren, gab es überhaupt keine effektive Organisation. Als Kirstein und seine Kameraden in London eintrafen, stellten sie fest, dass niemand über ihre Ankunft informiert worden war, und keiner, mit dem sie sprachen, hatte jemals von Monuments, Fine Arts and Archives gehört. Man sagte ihnen, sie sollten warten, bis der Papierkram erledigt sei. Da die Armee mit dem Kampf in der Normandie beschäftigt war, hatte sie die Monuments Men schlicht vergessen.
Kirstein gelang es, Kontakt mit James Rorimer aufzunehmen der als Kurator des Metropolitan Museum demselben sozialen Milieu entstammte wie Kirstein. Rorimer schrieb an seine Frau:
»Dass ein Mann wie Lincoln, der sechs Bücher und unzählige Zeitungsartikel geschrieben hat, sechs Jahre in Harvard verbracht hat, für ›Hound and Horn‹ verantwortlich war und Leiter des
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