Monuments Men
wurde von Impulsen geleitet. Posey war diszipliniert, Kirstein freimütig und unverblümt. Posey war nachdenklich, Kirstein einfühlsam, aber oft auch brillant. Während Posey von zu Hause nur verlangte, dass man ihm Hershey-Riegel schickte, enthielten Kirsteins Care-Pakete Rauchkäse, Artischocken, Lachs und Hefte des New Yorker. Am wichtigsten jedoch war, dass Posey sich als Soldat verstand. Kirstein rieb sich an der Rigidität und der Bürokratie der Armee und empfand die meisten Offiziere als unerträglich langweilig. Posey dagegen verstand und respektierte das Militär und seine Regeln. Er liebte es sogar. Er war während der deutschen Ardennenoffensive verwundet worden, aber unmittelbar nach seiner Genesung wieder in den Dienst zurückgekehrt, aus Loyalität nicht nur gegenüber seinem Auftrag, sondern auch gegenüber seinen Kameraden in der 3. Armee. Zusammen konnten die beiden Männer in der Armee weit mehr bewegen als jeder für sich allein.
Es gab zudem einige praktische Gründe, die dafür sprachen, die beiden zusammenzuspannen. Posey gehörte zu den erfahrensten MFAA-Offizieren. Er wusste, wie man den Job auszuführen hatte, und war zudem ein Fachmann für Gebäude und Baumaterialien. Aber er war kulturell nicht sehr bewandert und auch nicht besonders belesen, und er beherrschte keine Fremdsprachen. Da Kirstein mit der französischen und der deutschen Kultur vertraut war und über enorme Kenntnisse in der bildenden Kunst verfügte, war er eine ideale Ergänzung, und auch dass er fließend Französisch sprach, war von unschätzbarem Wert. Allerdings sprach keiner von ihnen Deutsch, wenngleich Kirstein Grundkenntnisse besaß.
Obwohl kein Zweifel bestand, dass Kirstein hoch qualifiziert war für den Job im Kulturgüterschutz, wahrscheinlich sogar qualifizierter als sein Vorgesetzter Hauptmann Posey, war er nur ein einfacher Soldat, und er musste die typischen Aufgaben eines neu eingetretenen Gefreiten ausführen: Wasser aus einem überfluteten Keller abpumpen, einen Maulkorb für den Hund des Obersts beschaffen, eine Ladung Sperrholz ausliefern, Mahlzeiten servieren, Latrinen ausheben und natürlich Berichte schreiben und Papierkram erledigen. Der Papierkram war am schlimmsten. Jedes Blatt musste in acht Ausführungen getippt werden, und wenn jemand irgendwo einen Tippfehler entdeckte, musste er alles noch einmal schreiben. Aber auch davon ließ sich Lincoln Kirstein nicht unterkriegen. Nach einem siebenmonatigen Schwebezustand war er noch immer interessiert, aktiv und froh darüber, in der Nähe der Front zu sein.
Kirstein absolvierte seine Ausbildung als Monuments Man im französischen Metz. Gemeinsam mit Posey verbrachte er die letzte Januarwoche mit Reisen auf eisigen Straßen zwischen dem Hauptquartier der 3. US-Armee in Nancy und der Garnisonsstadt Metz, die von der 3. Armee im Herbst nach heftigem Kampf eingenommen worden war. Während der Ardennen-offensive, hatte ihm Posey erzählt, hatten die Deutschen zahlreiche Fallschirmspringer in amerikanischen Uniformen hinter den alliierten Linien abgesetzt. Man konnte sie nur enttarnen, indem man ihnen Fragen zu speziell amerikanischen Themen wie beispielsweise Baseball stellte. Davon hatten die Deutschen keine Ahnung.
Kurze Zeit später hörte Kirstein während einer Exkursion über eine Nebenstraße zu einer abgelegenen Ortschaft Gewehrschüsse von den Bäumen. Da sie noch nicht ganz die Frontlinie erreicht hatten, dachte er, es handele sich um Übungsschießen alliierter Soldaten. Erst am nächsten Tag erfuhr er, dass Deutsche sie beschossen hatten. Posey machte sich anscheinend keine Sorgen das gehörte eben zum Job. Kirstein allerdings war sich nicht so sicher. Er konnte sich nur damit trösten, dass der alte Spruch wohl doch stimmte: Die »Jerries«, wie die Deutschen von den amerikanischen Soldaten genannt wurden, konnten nicht geradeaus schießen. Von nun an fuhr er nicht mehr besonders gern über Nebenwege.
Den Januar verbrachten die beiden zum großen Teil auf Hauptstraßen. Seit dem Zusammenbruch der deutschen Arden-nenoffensive hatte Robert Posey herauszufinden versucht, wo die Kulturschätze von Metz geblieben waren. Dazu gehörte in erster Linie die Befragung von Angestellten und Mitarbeitern der Kulturbehörden in der Stadt und im nahe gelegenen und überfüllten alliierten Kriegsgefangenenlager. Die wirklichen Nazi-Verbrecher hatten sich längst in ihre Heimat abgesetzt. Es war eine ermüdende Aufgabe, weil die niederen Funktionsträger
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