Monuments Men
nur sehr wenig wussten. Wenn man sie intensiv befragte, konnten sie meist nur einen weiteren Namen oder eine weitere Adresse von irgendjemandem nennen, der möglicherweise vielleicht etwas wusste.
Das war die Methode, mit der die MFAA arbeitete, erkannte Kirstein: widerstrebende Beamte auftreiben und so lange ausfragen bis die richtige Person gefunden wurde. Es war eine Art Ping-Pong-Spiel: Posey bekam einen Namen, machte die entsprechende Person ausfindig, holte ein paar Informationen und weitere Namen aus ihr heraus, bis er schließlich durch harte Arbeit und stetige Wiederholung ein klareres Bild der Situation gewann. Selten kamen die Antworten nur aus einer einzigen Quelle. In den meisten Fällen formte sich im Zuge mehrerer wenig hilfreicher Befragungen das Gesamtbild eher langsam und zögerlich.
Bei besonders wichtigen Informanten wie beispielsweise Dr. Edward Ewing, einem Archivar, dessen Name wiederholt in Befragungen auftauchte, rief Posey den Monuments Man George Stout an. Kirstein begriff schnell, dass Stout, der schon seit dem Treffen am Met im Jahr 1941 die Aktivitäten zum Kulturgüterschutz maßgeblich vorangetrieben hatte, der große Experte war, auf den sich die übrigen Monuments Men stützten. Wenn etwas zu tun war, wusste Stout, wie man es angehen musste.
Stout erhielt am 15. Januar einen Anruf. Zwei Tage später befragte er Dr. Ewing, während Kirstein das Gespräch aufzeichnete. Zunächst gab es nicht viel zu notieren. Dr. Ewing saß ruhig auf seinem Stuhl und beantwortete die Fragen schnell und knapp. Die deutsche Propaganda hatte lange Zeit behauptet die Alliierten, insbesondere die Amerikaner, wollten sich europäische Kunstwerke aneignen und sie dann an den Meistbietenden verkaufen, weil sie zu ungebildet seien, ihren Wert zu erkennen und zu würdigen. Zu den wichtigsten frühen Entscheidungen der MFAA gehörte es, bei ihrer Arbeit auf die Einbeziehung von Kunsthändlern zu verzichten und sich stattdessen auf Kulturbeamte aus dem öffentlichen oder akademischen Bereich zu konzentrieren. Durch das Vertrauen, das man den Beamten entgegenbrachte, konnten im Laufe der Zeit die Funktionsträger aus dem europäischen Kulturbereich zur Mitarbeit gewonnen werden, selbst jene, die früher der NSDAP angehört hatten. Und niemand war Vertrauen einflößender als George Stout. Er strahlte Wissen, Professionalität und Liebe und Respekt für die Kunst aus.
Schließlich begann Ewing zu reden. Die Nationalsozialisten, erklärte er, betrachteten Metz als eine deutsche Stadt. Deutschland hatte sie am Ende des Ersten Weltkriegs an Frankreich abtreten müssen, aber sie sei deutsch geprägt und gehöre zum Deutschen Reich. Die Geschichte der Stadt war allerdings etwas komplizierter, aber die Nationalsozialisten neigten zu Vereinfachungen. Ewing zitierte Hitler: »Die Masse braucht in ihrer Schwerfälligkeit immer eine bestimmte Zeit, ehe sie auch nur von einer Sache Kenntnis zu nehmen bereit ist, und nur einer tausendfachen Wiederholung einfachster Begriffe wird sie endlich ihr Gedächtnis schenken.« 165
Im Laufe von ungefähr zwanzig Minuten wurden Kirstein durch Ewing die Augen für die Herausforderungen geöffnet, die vor ihnen lagen. Es wurde mit dem Tode bestraft oder mit der Versetzung an die Ostfront, was schlimmer war als die Todesstrafe wenn man die Meinung äußerte, dass es den Alliierten gelingen werde, auf das Gebiet des Deutschen Reiches vorzustoßen. Sogar sich auf diese Möglichkeit vorzubereiten, galt als Hochverrat. Daher hatten die Kunstexperten in Metz die Kunstobjekte katalogisiert, aber keine Maßnahmen ergriffen, um sie wegzuschaffen. Erst als der Vormarsch der Alliierten nicht mehr zu leugnen war, begannen sie mit der Auslagerung. Ewing bezeichnete es natürlich nicht als Auslagerung. Er nannte es eine vorübergehende Verwahrung, um die Sicherheit der Objekte zu gewährleisten, die allesamt zurückgegeben werden würden, wenn Deutschland den Krieg gewonnen habe.
»Dieses Leugnen ist üblich«, erklärte Stout anschließend Kirstein. »Die Verwendung des Wortes ›sie‹ anstelle von ›wir‹. Das Beharren darauf, dass irgendjemand anders die Verbrechen begangen hat. Es spielt keine Rolle. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, zu richten, unser Job ist es, die Kunst zu retten.«
Die Kunstschätze von Metz waren an unterschiedliche Orte gebracht worden: in ein Hotel, in die Krypta einer Kirche, in eine Mine. Kirstein sah, wie Stout aufmerkte, als ein bestimmter Name fiel:
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