Monuments Men
Verheerung«, schrieb er an Saima, »als sich ein Mensch vorstellen kann.« 181 George Stout schätzte, dass 75 Prozent der Kulturgüter in diesem Bereich zerstört waren, aber das war noch nicht die ganze Wahrheit. Die Objekte, die verschont geblieben waren, lagen in den Randbezirken der Stadt. Im Stadtzentrum gab es nichts mehr zu inspizieren oder zu untersuchen. Lediglich der Dom stand noch, fast unversehrt inmitten all der Verwüstung. Er hätte eigentlich ein erhebender Anblick sein können, ein Beispiel für die Rücksichtnahme der westlichen Alliierten aber Hancock konnte es nicht so sehen. Das Ausmaß der Zerstörung – die Brutalität der alliierten Luftangriffe, die dazu dienten, den Kampfeswillen der Deutschen zu brechen – war schmerzhaft. Fast schien es ihm, als enthalte dieser Wahnsinn eine Botschaft. Wir hätten alle Gebäude schonen können, schien das Bild der Kathedrale mitteilen zu wollen. Dieses Gebäude ist das einzige, das wir uns ausgesucht haben.
»Das hat mich dazu veranlasst, mehr Zeit damit zu verbringen«, bekannte Hancock gegenüber Saima, »in Gedanken in unsere Welt zu entfliehen, zu unseren Plänen und unseren Hoffnungen. In gewisser Weise erscheinen sie mir wirklicher als das, was meine Augen hier gesehen haben.« 182
Die Alliierten waren wütend. Es gab keine andere Erklärung. Die Alliierten waren wütend auf die Deutschen und alles was mit ihnen zu tun hatte. Der Zorn hatte sich im Laufe von Monaten aufgestaut, vielleicht seit der Normandie, aber in dem harten Winter hatte er sich verstärkt. Vor dem Krieg hatte Köln fast 800 000 Einwohner gezählt; jetzt lebten kaum noch 40 000 Menschen hier, wie Hancock schätzte. Diejenigen, die geblieben waren, waren gezeichnet und verbittert. »Ich habe ihre Bitterkeit, ihren Hass gespürt, so wie man eine kalte Windbö von Norden spürt«, sollte Stout später über die Bewohner der Stadt schreiben. »Aus Neugier habe ich nach Spuren von Gefühlen in ihren Gesichtern gesucht. Es war immer das Gleiche. Eine Art von Hass und so etwas wie Verzweiflung – oder auch Ausdruckslosigkeit.« 183
Als er in diese ausdruckslosen und gebrochenen Gesichter blickte, dachte Walker Hancock an Saima und an ihre Pläne, ein Haus zu bauen (er sparte dafür, indem er einen Teil seines Solds zurücklegte), sesshaft zu werden, eine Familie zu gründen. Er musste sich einfach die Frage stellen: Wenn er mit einer Familie in Köln zu Mittag essen würde, würde er diesen Menschen gegenüber dasselbe empfinden wie gegenüber Monsieur Geneen und dessen Familie in La Gleize? Oder wurden seine Gefühle dadurch beeinflusst, dass Geneen ein Belgier war, ein Opfer und kein Aggressor?
Ein Gedanke ließ ihn nicht los: Die Kultur der eigenen Verbündeten zu retten, war nichts Großartiges. Die Kultur des Feindes zu schützen, das eigene Leben und das Leben anderer zu riskieren um sie zu retten, um sie ihm zurückzugeben, wenn der Krieg gewonnen war ... so etwas hatte es noch nicht gegeben, doch genau das hatten sich Walker Hancock und die übrigen Monuments Men vorgenommen.
Die Kunstschätze von Aachen befanden sich irgendwo da draußen. Es war seine Pflicht, sie zu finden. Doch allein die Pflicht reichte dafür nicht als Antrieb, das wusste er. Erfolg erforderte Überzeugung, den Glauben daran, dass die Mission des Kulturgüterschutzes nicht nur richtig, sondern auch notwendig war. Es konnte nicht lediglich eine Pflicht sein; es musste eine Leidenschaft daraus werden. Und je mehr Zerstörung Hancock sah, umso leidenschaftlicher wurde er.
Köln hatte keine Anhaltspunkte gebracht. Die beweglichen Kunstobjekte waren weg, waren vor den schlimmsten Zerstörungen ausgelagert worden. Er und Stout kannten die Namen einiger örtlicher Kulturfunktionäre aus Befragungen in anderen zerstörten Städten, hatten aber keinen von ihnen auftreiben können. Die Kulturgüter waren zu Staub zerfallen. Nach nur einem Tag verließ Stout Köln, um sich einige kleinere Städte in der Umgebung anzuschauen; Hancock fuhr nach Bonn zum letzten bekannten Büro von Graf Wolff-Metternich, des früheren Leiters der Kunstschutz-Organisation in Paris. Aus Paris war die Kunde gekommen, dass Wolff-Metternich ein guter Mensch sei und nicht nur Sympathien für die Anliegen der Franzosen gezeigt sondern sie auch aktiv unterstützt habe. Er hatte tatsächlich seinen Posten verloren, weil er sich mehr als einmal auf die Seite der Franzosen und gegen seine Vorgesetzten gestellt hatte. Wenn jemand
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