Monuments Men
Informationen besaß, dann er. Und wenn er selbst nicht mehr da war, würde es noch immer Dokumente und Aufzeichnungen geben. Die Deutschen waren in dieser Hinsicht sehr penibel. Die langen Monate, in denen er im Dunkeln getappt war, näherten sich allmählich dem Ende, davon war Hancock überzeugt.
In den Vororten Bonns schien die Sonne. Die Häuser waren unversehrt. Doch wie in so vielen anderen Städten nahmen die Schäden zu, je weiter man in die Stadt hinein kam. Das Stadtzentrum war durch die alliierten Luftangriffe größtenteils zerstört worden, doch selbst hier zwischen den Ruinen sah Hancock blühende Kirschbäume. Er hielt vor einem Haus aus dem 18. Jahrhundert an. Der gewölbte steinerne Hauseingang war nur einen knappen Meter vom Straßenrand entfernt, gewundenes metallenes Gitterwerk hing am Schlussstein, aber die Tür stand offen. Hancock trat in den dunklen Hausflur, stieg eine schmale Holztreppe hinauf und stand einige Augenblicke später überwältigt in dem winzigen Raum, in dem Ludwig van Beethoven geboren worden war. In der Umgebung der Stadt hatte Hancock Bauern gesehen, die ihr gesamtes Hab und Gut auf klapprigen Karren hinter sich herzogen, brennende Kohlenminen und rauchgeschwärzte Häuser und Felder. Aber dieses Refugium, dieses künstlerische Kleinod war erhalten geblieben. Er dachte an die Kirschbäume zwischen den Ruinen. Sogar in Deutschland hatten Splitter von Hoffnung und Schönheit überlebt – und von Glück und Kunst.
Das Büro des Konservators lag in einem Wohngebiet, das die alliierten Bomberpiloten unbeachtet gelassen hatten. Hancock war zuversichtlich, frohgemut sogar und erfüllt von der Ruhe und dem Frieden, den Beethovens Zimmer ausstrahlte. Dann bog er um die Ecke und sah die Lücke in der Häuserreihe. Er brauchte die Adresse gar nicht zu überprüfen; er wusste sofort, was geschehen war. Nur ein Gebäude in diesem Häuserblock war dem Erdboden gleichgemacht worden, und das war das Haus in der Bachstraße Nummer 9, das Büro des Konservators. Was hatte er denn erwartet? Natürlich hatten die Nationalsozialisten es lieber in die Luft gejagt, als es dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Hancock saß enttäuscht und niedergeschlagen in seinem Jeep. Dann zog er seinen Helm fest und begann an die Türen zu klopfen.
»Nein, nein.« Niemand wollte reden. »Wir wissen nichts.«
Schließlich fand er einen Mann, der bereit war, mit ihm zu sprechen, aber er wusste nicht viel über das Haus, nur dass es ein Bürogebäude gewesen und durch eine Bombe zerstört worden war.
Gab es Papiere und Dokumente?, fragte Hancock. Akten? Inventarlisten? Der Mann zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht. Er vermutete, diese Unterlagen seien fortgeschafft worden. »Sie sind schon vor Wochen nach Westfalen abgereist«, sagte er. »Sie haben alles mitgenommen.«
Hancock runzelte die Stirn. Westfalen lag noch immer hinter den feindlichen Linien. Und wenn die Allliierten dort ankamen, würden Wolff-Metternich und die Akten, davon war Hancock überzeugt, schon wieder verschwunden sein.
»Ich weiß, dass ein Mann hier geblieben ist«, fuhr der Passant fort. »Ein Architekt, der Assistent des Konservators. Er ist in Bad Godesberg. Sein Name lautet Weyres.«
»Vielen Dank«, sagte Hancock erleichtert. Es war doch keine Sackgasse, zumindest noch nicht. Er wandte sich zum Gehen, aber der Mann hielt ihn auf.
»Möchten Sie seine Adresse?«
Walker Hancock rief aus Bonn seinen Chef George Stout an. Stout hatte gerade niederschmetternde Nachrichten erhalten. Sein früherer Zimmerkollege, der britische Monuments-Offizier Ronald Balfour, war tot. Bei der Arbeit in der Stadt Kleve war ihm ein Granatsplitter in den Rücken geflogen.
Walker Hancock hatte Balfour nicht sehr gut gekannt, aber dennoch war der plötzliche Tod eines Monuments-Kameraden ein Schock für ihn. Er erinnerte sich an Balfours ironisches Lächeln während ihrer Zeit in Shrivenham, das Funkeln seiner Gelehrtenbrille, die überraschende Kraft, die in seiner kleinen Gestalt steckte. Der »Gentleman-Gelehrte« war ein echter Gentleman gewesen, ein Bursche, mit dem man gern auf ein Bier ging. Aber Hancock hatte ihn nicht wirklich gekannt. Er überlegte ob der Tote eine Ehefrau hinterließ, ein Kind, trauernde Eltern, unerfüllte Versprechen und gescheiterte Hoffnungen.
Walker Hancock dachte an seine geliebte Saima, die nun seit mehr als einem Jahr seine Braut war, wenngleich sie nur eine kurze Zeit als Mann und Frau gemeinsam
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