Monuments Men
verbracht hatten. Balfours Tod erinnerte ihn an die Gefahren ihrer Mission; die Zeit, die er von ihr getrennt war, konnte sehr wohl viel mehr werden als nur ein vorübergehender Aufschub des langen Lebens voller Liebe und Glück, das er sich erhoffte.
Und Balfours Tod verdeutlichte einmal mehr die Einsamkeit in diesem Job, die Isolation von Freunden und Gefährten selbst in einer Millionenarmee. Ronald Balfour war vor zehn Tagen gestorben und die anderen Monuments Men an der Front hatten erst jetzt davon erfahren. Hancock hatte keinen Gehilfen, der mit ihm reiste. Nachdem sie so viel Zeit in unterschiedlichen Kampfgebieten verbracht hatten, überlegte Hancock, ob er Robert Posey oder Walter »Hutch« Huchthausen überhaupt wiedererkennen würde, wenn sie durch die Tür kämen. Nach den verdichteten Ereignissen des Krieges, in dem neun Monate wie neun Jahre erschienen, waren sie schlicht Namen auf Berichten, die er las. Aber George Stout war immer da, in Fleisch und Blut, wenn er ihn brauchte.
Hancock hatte zumindest ausgezeichnete Nachrichten für seinen Vorgesetzten, auch wenn sie die Trauer teilten. Er hatte Weyres, den Assistenten von Graf Wolff-Metternich, in Bad Godesberg ausfindig gemacht. Der Mann war eine Schatztruhe an Informationen, und Hancock wollte wissen, wie er mit ihm umgehen solle. Stout, der anscheinend noch in Gedanken bei Ronald Balfour war, teilte ihm schlicht mit: »Ich muss Ihnen nicht sagen, was Sie zu tun haben, Walker.«
Am nächsten Morgen übermittelte Hancock detaillierte Informationen über Kunstdepots an die vorgeschobenen Einheiten der 1. US-Armee. Nach wenigen Tagen hatte er den Truppen an der Front die Lage von 109 Unterbringungsorten östlich des Rheins mitgeteilt, wodurch sich die Zahl der bekannten Lagerstätten in Deutschland verdoppelte.
Eine Woche später, am 29. März 1945, klopfte ein amerikanischer Feldkommandeur, der gerade aus dem Kampf kam, an die Tür des Wohnhauses des Bürgermeisters von Siegen. Als der Mann erstaunt öffnete, fragte der Kommandeur einfach nur: »Wo sind die Gemälde?«
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SCHATZKARTE
Trier
20. bis 29. März 1945
Ende März 1945 waren Hauptmann Robert Posey und Gefreiter Lincoln Kirstein, die beiden so ungleichen Monuments Men in Pattons 3. US-Armee, im Tal der Saar an der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland unterwegs. Um sich herum sahen sie die Auswirkungen der Besatzung in den brachliegenden Feldern und den rostenden, kaputten Fabriken. Fleisch, so hieß es, sei so schwer aufzutreiben, dass Steckrüben mittlerweile zum Grundnahrungsmittel der Bevölkerung geworden seien. Die Bürger, die den westlichen Alliierten meist freundlich begegneten boten ihre Hilfe an und erwarteten dafür nur eine Zigarette. Tabakwaren waren so selten geworden, dass die Raucher ihre Bedürfnisse jahrelang nur mit den Stummeln hatten befriedigen können, die Kriegsgefangene weggeworfen hatten, die zu den Internierungslagern weiter im Landesinneren gebracht wurden. Das Land war durch den Krieg verarmt und wurde von der 3. US-Armee als Versorgungsgebiet genutzt, aber Kirstein sah auch seine Schönheit: die sanft geschwungenen Hügel, die sich langsam begrünten, nachdem der Schnee geschmolzen war, die träge fließenden Flüsse in den Tälern, die dunklen Wälder, die an die Märchen der Gebrüder Grimm denken ließen. Die kleinen Bauernhöfe wirkten so alt wie die Erde, und die historischen Stadttore und Türme erinnerten ihn an die fantasievollen Hintergründe in den Zeichnungen Albrecht Dürers.
»Wir können jetzt die Einstellung der deutschen Bevölkerung uns gegenüber beobachten«, schrieb Robert Posey an seine Frau Alice, nachdem er die Mosel überquert hatte und auf deutsches Gebiet gelangt war. 184
»Der Vormarsch geht so schnell vonstatten, dass viele Städte nicht stark beschädigt werden. In diesen und auch in den beschädigten Städten stehen die Leute auf den Gehsteigen und verfolgen unsere vorbeiziehenden Konvois, wie sie es auch in der Normandie getan haben. Sie jubeln uns natürlich nicht zu, aber man glaubt fast, dass das nur daran liegt, dass sie weniger emotional sind als die Franzosen. Sie wirken alle auf aufgeweckte Weise neugierig. Die älteren Männer betrachten bewundernd unsere Fahrzeuge, die mit begeisterten, gesunden Männern besetzt sind. Kinder rufen uns etwas zu, die kleinen Mädchen lächeln fröhlich und winken. Obwohl wir sie nicht beachten sollen, bringe ich es nicht übers Herz, ihr Winken nicht zu erwidern. Größere
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