Monuments Men
Deutschen. Er machte sie für den Krieg verantwortlich und für dessen häufig unmenschliche Zerstörungskraft. Und er war noch immer aufgebracht über das Arbeitslager in Ohrdruf, das er mit einigen seiner Generäle besichtigt hatte. »Was ich dort gesehen habe, entzieht sich jeder Beschreibung«, schrieb er an seinen Vorgesetzten, General Marshall. »Als ich das Lager besichtigte, traf ich auf drei Männer, die dort Insassen gewesen waren und denen durch irgendeine List die Flucht geglückt war. Ich befragte sie mithilfe eines Dolmetschers. Der visuelle Eindruck und die mündlichen Aussagen über Hunger, Grausamkeit und Bestialität waren so überwältigend dass es mir schier den Magen umdrehte. In einem Raum waren zwanzig oder dreißig nackte Männer aufeinandergestapelt, die verhungert waren. Patton weigerte sich, diesen Raum zu betreten. Er sagte, ihm würde dabei übel werden. Ich habe diesen Besuch mit voller Absicht durchgeführt, um aus erster Hand berichten zu können, falls später einmal der Versuch unternommen werden sollte, diese Beschuldigungen als reine ›Propaganda‹ abzutun.« 232 In schlichteren Worten schrieb er seiner Frau Mamie: »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es so viel Grausamkeit, Bestialität und Brutalität auf der Welt geben kann. Es war grauenhaft!« 233 Eisenhower war entschlossen, die Nazis nicht entkommen zu lassen und ihnen jeglichen Funken Hoffnung zu nehmen.
Am 12. April 1945, dem Tag, an dem er Merkers und Ohrdruf besichtigt hatte, wies der Oberbefehlshaber Patton an, mit der 3. US-Armee nach Süden in Richtung Nürnberg und München vorzurücken. Sie sollte den süddeutschen Raum sichern und die verbliebenen Nazis aus den Alpen vertreiben.
Patton widersprach energisch. »Es wäre besser, wenn wir Berlin einnehmen, und zwar schnell«, erklärte er, »und dann zur Oder vorstoßen« – der deutschen Ostgrenze. 234 Seine 3. Armee, wagte er sogar zu behaupten, könne in 48 Stunden in Berlin sein.
Eisenhower erwiderte, die westlichen Alliierten seien durchaus imstande, Berlin einzunehmen, aber er bezweifelte, dass sie als Erste dort ankommen würden. Und selbst wenn sie es schafften wer würde das wollen? General Bradley schätzte, dass die Eroberung der Stadt bis zu 100 000 Todesopfer fordern würde – zu viel für ein solches »Prestigeprojekt«.
Also rückten die 3. und die 7. US-Armee im April 1945 nicht in östlicher Richtung nach Berlin vor, sondern nach Süden, in Richtung Österreich und zur »Alpenfestung«, dem letzten Zufluchtsort der NS-Führer. Die Monuments Men – vor allem Robert Posey, Lincoln Kirstein und James Rorimer, die diesen beiden Armeen zugeteilt waren – begriffen, dass sie durch Eisenhowers Entscheidung zu den beiden wichtigsten Kunstdepots im deutschen Kernland gelangen würden: Neuschwanstein und Altaussee. Aber auch sie hatten keine Ahnung davon, was Gauleiter Eigruber und die auf dem Rückzug befindlichen SS-Einheiten planten.
39
DER GAULEITER
Altaussee, Österreich
14. bis 17. April 1945
August Eigrubers Büro in Linz war voll mit Leuten, die alle etwas von ihm wollten. Als Dr. Emmerich Pöchmüller, der Generaldirektor der Alpenländischen Salinen, der damit auch für das Salzbergwerk Altaussee zuständig war, sich einen Weg durch die Menge bahnte, sah er darunter nicht nur Geschäftsleute, sondern auch Militärbefehlshaber und SS-Offiziere, die alle durcheinanderredeten und mit dem Gauleiter sprechen wollten. Einer von ihnen war ein alter Freund von ihm, der Direktor des Kraftwerks Oberdonau. Der arme Mann, bemerkte Pöchmüller, sah verschwitzt und blass aus.
»Er will das Kraftwerk sprengen«, sagte der Mann.
Pöchmüller bekam einen Schreck. »Sie sind hergekommen, um ihn umzustimmen, nicht wahr?«
»Ja. Und was ist mit Ihnen?«
»Ich möchte ihn dazu bringen, das Salzbergwerk nicht in die Luft zu sprengen.« 244
Am 14. April 1945 hatte Pöchmüller herausgefunden, dass Eigrubers Kisten keinen Marmor enthielten, sondern Bomben. Er hatte den Gauleiter angerufen, um sich zu beschweren, aber sein Anruf wurde nicht entgegengenommen. Zwei Tage später hatte sich Eigrubers Adjutant gemeldet und ihm mitgeteilt, dass die Entscheidung des Gauleiters unumstößlich sei. Das Bergwerk solle zerstört werden.
Am 17. April hatte sich Pöchmüller entschlossen, nach Linz zu fahren. Schließlich hieß es in den neuen Anweisungen von Albert Speer, dass eine Zerstörung nicht erforderlich sei, wenn die Fabriken »gelähmt« und für den
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