Monuments Men
und unsere Bodentruppen erledigen den Rest. Ihr Job, so wie ich es sehe, besteht darin, die Kunstobjekte ausfindig zu machen, die in den Ländern unserer westeuropäischen Alliierten geraubt wurden. Die 3. Armee hat mittlerweile genug Publicity erhalten« – damit bezog er sich auf Merkers, das weiterhin weltweit für Schlagzeilen sorgte – »und jetzt wird es Zeit, dass auch die 7. Armee ein Salzbergwerk oder zwei bekommt.« 248
Rorimer begriff, was Canby mit völliger Zerstörung meinte, als er in die Vororte von Heilbronn kam. Teile des VI. Korps der 7. US-Armee hatten am 2. April die Stadt erreicht, am selben Tag, an dem George Stout und Walker Hancock in den Schacht bei Siegen einfuhren. Sie hatten sich auf ihrem Weg nach Stuttgart durch die südwestdeutschen Industriezentren vorangekämpft und rechneten in dieser typischen mittelgroßen Stadt nicht mit starkem Widerstand. Heilbronn war nur irgendeine kaputte Stadt, glaubten sie, schwer beschädigt durch die britischen Luftangriffe; vor allem bei einem verheerenden Angriff im Dezember 1944 waren 62 Prozent der Infrastruktur der Stadt vernichtet und 7000 Zivilisten getötet worden, darunter auch tausend Kinder unter zehn Jahren.
Doch der Schein konnte trügen, vor allem in der großen Leere, die momentan in Süddeutschland herrschte. Als die 7. US-Armee am Morgen des 3. April den Neckar zu überqueren versuchte, erwachte die kaputte Stadt zum Leben. Der Neckar war bis zu hundert Meter breit, und die Verbände der Wehrmacht die in den Hügeln östlich der Stadt versteckt lagen, hatten perfekte Sicht auf die schwerfälligen Angriffsboote. Immer wieder wurden einzelne Boote versenkt oder zurückgetrieben. Als die Pioniere eine Schwimmbrücke über den Fluss zu legen begannen, nahmen die Deutschen sie unter Mörserbeschuss und versenkten zwei Panzer. Soldaten, die es ans andere Ufer schafften, wurden durch feindliches Feuer niedergestreckt. Die deutschen Mörser feuerten alle drei Minuten und auch öfter, sobald sich Ziele auf dem Fluss oder am Ufer zeigten. Als die amerikanischen Soldaten in die Straßen vordrangen, entdeckten sie, dass die wütenden Einwohner die Trümmer ihrer Häuser und Läden zu Barrikaden zusammengeschoben hatten, und an allen wichtigen Punkten hatten deutsche Elitetruppen Verteidigungsstellungen eingerichtet. Neun Tage lang war Heilbronn Schauplatz eines der heftigsten Kämpfe des gesamten Krieges, als sich die 7. US-Armee in der zusammenbrechenden Stadt von einem Häuserblock zum nächsten, von einem Haus zum anderen und schließlich von einem Raum zum nächsten vorankämpfte.
James Rorimer, der den größten Teil seines Europa-Einsatzes in Paris verbracht hatte, hatte dergleichen seit seiner Inspektion von Saint-Lô in der Normandie nicht mehr gesehen. »Was in den Zeitungen steht, ist nicht übertrieben«, schrieb er an seine Frau. »Die Geisterstädte sind sehr bedrückend. Besonders schlimm sieht es dort unmittelbar nach der Kapitulation aus.« 249
Eine Route war freigeräumt worden, alle übrigen Straßen schienen unpassierbar zu sein. Bis auf die Bulldozer der Alliierten die damit beschäftigt waren, den Schutt beiseitezuräumen, war die Stadt verlassen. Von den Deutschen waren anscheinend nur die Toten zurückgeblieben. Der Gestank war überwältigend.
Nach abgefangenen deutschen Geheimdienstberichten befanden sich die Kunstgüter im Salzbergwerk der Stadt, dessen Oberbau – ein Metallgerüst, in dem der Aufzug ruhte – eineinhalb Kilometer weit sichtbar war. Rorimer ging die Salzstraße entlang, dann über den Salzwerkplatz und kam schließlich zur Salzgrundstraße, von wo aus er das Ziegelgebäude sehen konnte, in dem der Schacht begann. Nach den heftigen Kämpfen stieg von einigen Gebäuden noch immer Rauch auf. Auf der Straße drängten sich Menschen, die erschöpft wirkten, aber noch am Leben waren. Rorimer blieb neben zwei Männern stehen und fragte sie nach dem Bergwerk.
Sie schüttelten die Köpfe. »Russo«, sagten sie. Sie waren russische Zwangsarbeiter.
»Deutsch?«, fragte Rorimer. Er wollte wissen, ob sie jemanden kannten, der Deutsch sprach.
Sie zuckten mit den Schultern. Wer wusste in diesen Tagen überhaupt etwas?
Schließlich entdeckte Rorimer zwei verängstigte deutsche Frauen in einer Arbeitersiedlung. Die Nazis hätten die Saline eigentlich zerstören wollen, erzählten die Frauen, aber die Bergleute hätten sich geweigert. »Wir können ohne die Nazis leben«, sagten sie, »aber nicht ohne das Salz.«
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