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Monuments Men

Monuments Men

Titel: Monuments Men Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Edsel
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war der Mann aufgetaut, und jetzt brauchte Rorimer Harry, um von ihm Informationen über seine Kunstsammlung zu erlangen. Bei dem Gefangenen handelte es sich um Heinrich Hoffmann, Adolf Hitlers Leibfotografen. Was musste ein verfolgter deutscher Jude empfunden haben, als er unmittelbar vor einem Mann stand, der regelmäßig mit Hitler gespeist hatte und mehr als zwanzig Jahre lang sein unerschütterlicher Anhänger und Vertrauter gewesen war? Hoffmann beharrte natürlich darauf, dass er ein Mitläufer gewesen sei. Er habe nur deshalb Propagandafotos von Hitler gemacht, weil er jedes Mal, wenn eines davon abgedruckt wurde, auch auf deutschen Briefmarken, Tantiemen erhielt. Er habe nur deshalb Kunstwerke zweifelhafter Herkunft von »angesehenen« Händlern gekauft, um davon Fotoaufnahmen anzufertigen. Er sei zwar durch den Nationalsozialismus reich geworden, aber er sei niemals ein überzeugter Nazi gewesen, sondern habe nur die wirtschaftlichen Chancen genutzt. Sei das denn nicht auch die amerikanische Art?
    Kurze Zeit später begleitete Harry Rorimer nach Berchtesgaden. Während sich Rorimer mit den Kunstobjekten vor Ort beschäftigte – der Reichsmarschall war nicht der einzige ranghohe NS-Funktionär, der seine Beute in dieser einstigen Nazi-Bastion versteckte –, stieg Harry den Berg zu Hitlers Berghof hinauf. Er stand allein im Wohnzimmer des »Führers« und starrte durch das riesige Fenster (das Glas war schon lange verschwunden), aus dem Adolf Hitler so häufig auf sein Reich geblickt hatte. Das Haus war von Soldaten bereits weitgehend leergeräumt worden aber Harry konnte noch ein paar Achselklappen und einige Briefbögen mit dem Briefkopf eines hohen SS-Generals ergattern. Er blickte hinaus auf Deutschland, das nun frei war, und dachte einfach nur: »Es ist ein schönes Gefühl.«
    Ende Mai nahm Hauptmann Rorimer den Schützen Ettlinger nach Neuschwanstein mit. Neuschwanstein! Nur Altaussee konnte es sowohl im Hinblick auf die Szenerie als auch auf die Qualität der geraubten Kunstwerke damit aufnehmen. Aber Altaussee hatte keine Geschichte. Wie viele deutsche Kinder war auch Harry Ettlinger mit Geschichten über dieses Schloss und seine enormen Reichtümer aufgewachsen; durch seine Tore zu gehen, war wie der Eintritt in ein Märchenland seiner Kindheit. Hier war das legendäre Deutschland mit seinem berühmten goldenen Thronsaal.
    Aber es war auch das Deutschland der Gegenwart, Raum für Raum gefüllt mit geraubten Kunstobjekten. Am Eingang hatte Harry gesehen, wie Rorimer einen britischen Zweisternegeneral abgewiesen hatte. Der amerikanische Hauptmann war unnachgiebig: Niemand durfte in das Schloss. Aber hier war Harry Ettlinger, ein ganz gewöhnlicher Schütze, der diese Kunstwerke, das Gold und all die Schätze anstarrte – den Rothschild-Schatz! –, von denen er als Kind in Karlsruhe niemals zu träumen gewagt hätte. Er übersetzte seit Wochen Dokumente, aber das waren nur Worte und Zahlen. Zu sehen, wie diese Bilder, die Künstler wie Rembrandt gemalt hatten, als Beutegut aufeinandergestapelt waren, das war etwas ganz anderes. »Was ich über den Holocaust weiß«, sollte Harry später sagen, »begann damals mit der Erkenntnis, dass Menschen nicht nur das Leben genommen worden war – was ich viel später erfuhr –, sondern auch all ihr Besitz. ... Für mich war Neuschwanstein tatsächlich der Beginn eines Prozesses, in dem sich mir jener Abschnitt der Geschichte erschloss, der niemals in Vergessenheit geraten sollte.« 321
    Im September 1945 schickte Rorimer Harry Ettlinger nach Heilbronn zu jener Saline, deren Überflutung er im April verhindert hatte. Der Lärm des Krieges gehörte nun der Vergangenheit an, doch sein Echo war noch vernehmbar. Das Hotel Kronprinz, in dem Harry zusammen mit zwanzig weiteren Soldaten wohnte, war das einzige Gebäude, das in diesem einst mit soliden Steinhäusern bebauten Viertel noch stand. Auf den Straßen sah man keine Menschen, aber sie waren voll mit Schutt und Geröll, und bislang war noch nichts unternommen worden, um sie frei zu räumen. Im verwüsteten Stadtzentrum gab es nur wenige Anzeichen von Leben. Harrys wichtigster Orientierungspunkt auf seinem Weg zur Saline war die Bahnstation Bockingen, die ebenfalls vollständig zerstört war. Gegenüber dem Bahnhof stand ein großer Betonblock, der als Luftschutzbunker gedient hatte. Nach den verheerenden alliierten Bombenangriffen vom 4. Dezember 1944 war der Eingang verschlossen worden. Der Luftschutzbunker

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