Monuments Men
aus dem geschichtswissenschaftlichen Bereich, in dem es natürlich auch häufig um religiöse Bezüge und Bilder ging. Nach Abschluss seines Grundstudiums war er in Cambridge geblieben und war nunmehr das, was die Engländer einen »Gentleman-Gelehrten« nannten, ein Mann der Universität, den es nicht nach Ruhm durch Veröffentlichungen oder nach einer wissenschaftlichen Karriere drängte, sondern der sich vielmehr intellektuellen Herausforderungen widmen wollte und lange, ungezwungene Gespräche und Debatten mit Menschen ähnlichen Schlages liebte.
Im Lauf der Jahre hatte er sich, wie es Stout vorkam, völlig in Papier vernarrt. Er konnte in der Truppe als Experte für Archive und Manuskripte gelten, als ein Mann, dem die Sicherung und Erhaltung historischer Papiere mehr am Herzen lag als der Schutz von visueller Kunst, und sein größter Triumph – wie es Balfour bei mehreren Gelegenheiten selbst bezeichnet hatte – war der Aufbau einer 8000 Bücher umfassenden Bibliothek bis zum Alter von 35 Jahren. Ausschließlich qualitativ bedeutende Bücher, wie er immer sogleich betonte. Ronald Balfour war zwar ein Mann des Papiers, aber kein Mann für Papierkram. Mit seiner schmächtigen Statur und seiner Gelehrten-Nickelbrille sah er auch gar nicht wie ein Soldat aus, aber er hatte ein Rückgrat aus Eisen und den Wunsch zu kämpfen. Er war von einem Offizier in Mittelengland – in Buckinghamshire, genauer gesagt – erzogen worden, und er kannte und respektierte die Kultur des Militärs. Zudem hatte er Jahrzehnte gebraucht, um die Bücher für seine Bibliothek zu sammeln, und er war nicht bereit, sie durch deutsche Bomben zerstören zu lassen.
Und dann die amerikanische Seite. Marvin Ross, ein Harvard-Absolvent und Experte für byzantinische Kunst, war Webbs Stellvertreter als Kommandant. Ralph Hammett und Bancel LaFarge, beide Architekten und Fachleute für Gebäude.
Walker Hancock, Anfang 40, ein Bildhauer, der durch seine monumentalen Werke bekannt geworden war. Sacrifice, sein Soldatendenkmal in seiner Heimatstadt St. Louis, Missouri, erhielt nun besondere Bedeutung. Mehr als andere Soldaten zeichnete sich Hancock durch seine Opferbereitschaft aus. Er hatte seinem Vater zuliebe während des Ersten Weltkriegs kurze Zeit die Militärakademie in Virginia besucht. Und er hätte zweifellos noch mehr Opfer gebracht, wenn man es von ihm verlangt hätte. Doch dann ging der Krieg zu Ende, und die Kunst, seine wahre Berufung, führte ihn wieder zurück in seine Heimatstadt. Er studierte zunächst an der Washington University, dann an der Pennsylvania Academy of Fine Arts, und Ende der 1920er-Jahre ging er schließlich an die American Academy in Rom. Er war der Künstler in der Gruppe und, wie George Stout erkannte, wahrscheinlich jenes Mitglied mit den meisten Auszeichnungen. Im Jahr 1925 hatte Walker Hancock den renommierten Prix de Rome erhalten. Im Jahr 1942 wurde ihm während seiner Grundausbildung mitgeteilt, dass er einen Wettbewerb für den Entwurf der Air Medal gewonnen habe, einer der bedeutendsten Ehrenmedaillen des amerikanischen Militärs. Dieser Preis ermöglichte ihm, ohne dass er darauf hingearbeitet hätte, den Abschied von seiner Fronteinheit.
Ein Bruder Leichtfuß. Ein angenehmer Gesprächspartner. Unerschütterlich optimistisch. Aber dennoch war klar, welches persönliche Opfer Walker Hancock gebracht hatte. Wenige Wochen bevor er sich nach Europa einschiffte, hatte er Saima, seine Liebste, in einer kleinen Kapelle in der National Cathedral in Washington, D.C. geheiratet. Er war schwer verliebt in sie, das war offensichtlich, denn er dachte anscheinend immer nur an sie. Aber dennoch hatte er seine Karriere aufgegeben und seine Ehe geopfert, um in Übersee zu dienen. Er hatte sich freiwillig gemeldet, obwohl die Armee ihn eigentlich im Pentagon einsetzen wollte, und er hatte es gern getan. Er war fast ein wenig zu zuvorkommend, zu liebenswürdig und höflich. Stout konnte ihn sich nicht auf dem Schlachtfeld vorstellen. Er sah ihn vielmehr immer mit Saima in ihrem Kunststudio in Massachusetts und in ihrem Haus vor sich – Hancock legte zielstrebig regelmäßig etwas von seinem Einkommen zur Seite, um das Haus erwerben zu können –, mit einem Feuer im Kamin und einer großen Büste von Atlas, die halb fertig im Hintergrund stand. Hancock würde natürlich darüber lachen. Nichts konnte ihn lange Zeit bedrücken. Er war ein so positiver, gutmütiger Mensch, dass er sogar behauptete, ihm schmecke das
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