Monuments Men
Essen in der Armee.
Der vor Kurzem dazugestoßene James Rorimer, der erst 39 Jahre alt war, war das genaue Gegenteil des unbekümmerten Hancock: ein energischer, ehrgeiziger Mann, gestählt im Feuer der Museumswelt, in der um hohe Einsätze gespielt wurde. Ein kleiner, drahtiger Mann, gut geeignet für den Krieg. Er war gleich nach seinem Abschluss in Harvard in das Metropolitan Museum of Art eingetreten und hatte, obwohl erst Mitte 20, maßgeblich an der Planung eines massiven Ausbaus der Mittelaltersammlung des Museums mitgewirkt. Im Jahr 1934, nach nur sieben Berufsjahren, war er zum Kurator der Mittelalterabteilung aufgestiegen. Als 1938 in Upper Manhattan das neue Gebäude der Mittelaltersammlung des Met, das Cloisters, bezogen wurde, gehörte Rorimer schon zu deren bedeutendsten Entwicklern und Kuratoren. Nur ein Mann von besonderer Begabung und mit eisernem Willen konnte so schnell in der Hierarchie des Met aufsteigen. Und deshalb wahrscheinlich überraschte es Stout auch nicht, dass Rorimer aus einer Arbeiterstadt wie Cleveland, Ohio, stammte und dass sein Vater die Schreibweise des Familiennamens, der ursprünglich Rotheimer gelautet hatte, aus Angst vor antisemitischen Ressentiments in Amerika hatte ändern lassen. 44
Natürlich war Rorimer offiziell kein Monuments Man. Offiziell war er dem Spezialstab Civil Affairs zugeteilt, der in Shrivenham eine Ausbildungseinrichtung unterhielt. Rorimers Bewerbungsgespräch hatte am 3. März stattgefunden, und Stout wusste aus sicherer Quelle, dass er sich höchst interessiert an der Arbeit für die Monuments-Gruppe gezeigt hatte. Und Stout wusste auch, dass der MFAA-Kommandeur Geoffrey Webb ihn haben wollte. Warum auch nicht? Rorimer war ein sehr angesehener Kunstgelehrter, sprach Französisch, kannte Paris sehr gut und nahm in Shrivenham sogar sechs Tage in der Woche an einem Sprachkurs teil, um fließend Deutsch sprechen zu lernen.
Stout musste es ihm überlassen, der Mann war eine Bulldogge. Niemand in Shrivenham hatte mehr darum gekämpft, in die MFAA aufgenommen zu werden, und niemand arbeitete härter, um seine Fertigkeiten und Kenntnisse zu verbessern. Wenn man James Rorimer eine Aufgabe übertrug, würde er sein Bestes geben, um sie zu erfüllen. Stout vermutete, dass er es hier mit einem zukünftigen Star des amerikanischen Kunstestablishments zu tun hatte. Falls Rorimer den Krieg überlebte.
Dann gab es noch Robert Posey, den Außenseiter der Gruppe. Über ihn wusste Stout nicht viel. Er war meistens ruhig und in sich gekehrt. Er gehörte nicht zu Paul Sachs’ Harvard-Zirkel, und soweit man es beurteilen konnte, war er auf seinem Arbeitsgebiet, der Architektur, nicht sonderlich bekannt. Er war in Alabama in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, so viel hatte Stout erfahren, und hatte sein Studium an der Auburn University absolviert, das ihm fast vollständig das Reserve Officers’ Training Corps der Armee finanziert hatte. Im Hinblick auf seine Ausbildung und sein Temperament war er eindeutig ein Mann des Militärs, aber auch ein Experte auf seinem Fachgebiet, wodurch er ideal zu dieser Einheit passte. Aber niemand wusste genau, wie er der MFAA zugeteilt worden war. Es hieß, er sei direkt vom Polarkreis nach England versetzt worden, was zu unglaublich klang, als dass es nicht stimmen konnte. Er selbst behauptete einmal in gelösterer Stimmung, er sei der einzige Mensch, der in Pennsylvania einen Panzer zerstört habe. Wie sich herausstellte, hatte er zu Beginn seiner Militärzeit eine Versuchsbrücke konstruiert. Sie hielt nicht stand, und der erste Panzer, der sie zu überqueren versuchte, stürzte in den Fluss und versank. Die anderen Monuments Men, wie Stout wusste, wurden nicht recht schlau aus Posey, aber George Stout verstand ihn. Posey war ein stiller, an Arbeit gewöhnter, bescheidener Bauernjunge aus der amerikanischen Provinz: ganz ähnlich wie Stout selbst.
Doch damit war das Porträt auch schon vollständig. Balfour, der britische Gelehrte, Hancock, der gutmütige Künstler, Rorimer, der tatkräftige, strebsame Kurator, Posey, der Farmjunge aus Alabama. Und irgendwo im Hintergrund lauerte der geschniegelte George Leslie Stout mit dem dünnen Oberlippenbärtchen. Stout lachte bei diesem Gedanken, als er an einer Weggabelung abbog. Der alte, makellose George Stout. Aber diesmal nicht. Das Gewicht der Schmutzwäsche auf seinen Schultern, einer der Gründe für seinen kleinen Sonntagsausflug aus der Unterkunft, erinnerte ihn daran,
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