Monuments Men
waren in einen Streik getreten, dann folgte die Polizei, schließlich auch die Post. Zwar rechneten alle täglich mit dem Volksaufstand, aber als sie die ersten Schüsse hörten ... hob sich der Himmel über Paris wie der Deckel über einem brodelnden Kochtopf. Die Stadt war erfüllt von der Begeisterung und dem Jubel ihrer Einwohner. Valland hielt sich gerade mit anderen Kuratoren im Louvre auf. Sie wollten die französische Flagge über dem Museum aufziehen, aber Jaujard untersagte es ihnen. Ihre Pflicht bestehe darin, die Sammlungen zu schützen. Sie durften keine deutsche Vergeltungsaktion riskieren. 153
Sie verließ den Louvre und ging zum Jeu de Paume; sie war entschlossen, bis zum Schluss an der Seite der Kunst auszuharren. An der Ecke der Straße stand ein deutscher Wachturm. Die Rohre der Maschinengewehre, die auf den Stufen standen, waren noch heiß. Die ganze Nacht waren deutsche Soldaten in den Jardin des Tuileries geströmt und hatten sich dort verschanzt. Gegenüber dem Park fällten Partisanen Bäume und rissen Pflastersteine heraus, um Barrikaden zu errichten. Aus einem Fenster im obersten Stockwerk konnte Valland die Citroën-Limousinen sehen, die in den Farben des Freien Frankreich bemalt waren. Doch dann geschah tagelang nichts. Paris köchelte vor sich hin.
Die Spannung entlud sich am Abend des 24. August. Blitze erhellten den Himmel, die Polizei marschierte auf. Artilleriegeschosse pfiffen hinab zur Seine. Die Rohre der deutschen Maschinengewehre leuchteten glühend rot im Feuersturm. Am nächsten Tag kauerten deutsche Soldaten hinter den Statuen im Hof des Museums, umgeben von Sandsäcken. Sie sah, wie sie tot umfielen, einer nach dem anderen. Ein verängstigter junger Soldat wurde von seiner Einheit getrennt und auf den Stufen des Museums niedergemäht. Die Überlebenden ergaben sich. Innerhalb von zwei Stunden hatten General Leclercs Panzer in der Rue de Rivoli Stellung bezogen. Seine Soldaten schleppten erbeutete deutsche Munition und Helme in das Jeu de Paume, während sich Pariser Bürger auf den Terrassen versammelten und den Soldaten auf der Straße zujubelten.
Und dann der Geschützdonner, das Schreien und die Menschenmenge die gegen die Türen und Fenster des Jeu de Paume drückte. Eine Museumsmitarbeiterin, die dummerweise auf das Dach gestiegen war, um die Ankunft von Leclerc zu beobachten, wurde beschuldigt, eine deutsche Späherin zu sein. Sie wandte sich Hilfe suchend an mehrere von Leclercs Offizieren, bis endlich einer von ihnen eingriff. Als Rose Valland die Menge nicht in das Untergeschoss lassen wollte, wo die permanente Sammlung des Jeu de Paume verwahrt wurde, beschuldigte man sie, sie wolle Deutsche verstecken. Kollaborateurin! Kollaborateurin! Ein französischer Soldat drückte ihr die Mündung eines Gewehrs in den Rücken. Als sie die Wendeltreppe zum Kellergeschoss hinabstieg dachte sie an den jungen deutschen Soldaten, den sie am frühen Morgen gesehen hatte, wie er sich in eines der Wachhäuschen drückte. Was würde passieren, wenn sie noch einen weiteren entdeckten? Nach allem, was sie erlebt hatte, hatte sie sich gefragt, ob es so enden musste. Meine Verpflichtung, sagte sie sich damals, wie auch jetzt wieder, gilt der Kunst.
Sie dachte an die knapp abgewendete Katastrophe mit dem Kunstzug: Unschätzbar wertvolle Kunstwerke, die aufgrund bürokratischen Wirrwarrs zwei Monate lang auf einem Nebengleis gestanden hatten. Sie fürchtete, einige Mitglieder der Museumsgemeinde könnten sie für selbstsüchtig halten. Ihr unterstellen sie würde Informationen zurückhalten, um sich wichtig zu machen. Manche munkelten bereits, dass sie alles nur vorgespiegelt habe, dass sie gar keine wichtigen Informationen besitze. Schließlich sei sie ja nur eine Assistentin, nicht einmal eine Kuratorin. Sie argwöhnten, sie wolle nur berühmt werden.
Vielleicht war da sogar etwas dran. Sie hatte erbost auf eine Geschichte über den Kunstzug in Le Figaro vom 25. Oktober reagiert in der dem französischen Eisenbahnwesen das Hauptverdienst für die Rettung der Kunstwerke zugesprochen wurde. Sie hatte an Jaujard geschrieben und ihn darauf hingewiesen, dass in dem Artikel »den Nationalmuseen die Anerkennung verwehrt wurde, die sie verdient hatten«. Wirklich wütend war sie aber über den vorhergehenden Absatz. »Ich wäre persönlich sehr froh«, hatte sie geschrieben, »wenn diese Klarstellung die Tatsachen wieder zurechtrückte, denn ohne die Informationen, die ich liefern konnte,
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