Monuments Men
Paume. Zu dieser Zeit, es war Ende 1942, hatte er wohl schon erkannt, dass ihm die Kontrolle entglitten war. Er schlurfte durch das Museum, nur von ein paar Assistenten begleitet. Für seinen Besuch waren lediglich in einigen Räumen Vasen mit Chrysanthemen aufgestellt worden. Es roch wie bei einer Beerdigung.
Dies unterschied sich deutlich von den Auftritten des wahren Meisters, der sich die Erfolge des ERR geschickt zunutze zu machen verstand. Für ihn wurden mit höchster Sorgfalt persönliche Ausstellungen organisiert, die seinem persönlichen Geschmack entgegenkamen. Die Champagnerflaschen wurden nicht geöffnet, sie wurden »geköpft«, eine eindrucksvolle, theatralische Prozedur, bei der man einen Säbel am Flaschenkörper nach oben führte und dann mit einem einzigen Hieb den Hals von der Flasche trennte, wobei der Korken unversehrt blieb. Die unterwürfigen ERR-Mitarbeiter prosteten ihm zu und rühmten seine Erfolge, dann folgten sie ihm auf dem Fuß, hungrig nach Belobigungen, und lachten über jeden dummen Witz. Und der Meister genoss die Verehrung, die man ihm entgegenbrachte, denn Hermann Göring, der Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches und zweiter Mann hinter Hitler, war ein eitler und gieriger Mensch.
Rose Valland wusste, sie würde seine Exzesse niemals vergessen. Er besaß Dutzende maßgeschneiderter Uniformen, die meisten goldbestickt und mit Seidenborten besetzt, eine mit mehr Schulterklappen, Quasten und Medaillen versehen als die andere. Er trug in den Taschen Smaragde bei sich und spielte mit den Fingern damit wie andere Leute mit Kleingeld. Er trank nur den besten Champagner. Als er im März 1941 die Rothschild-Juwelen durchstöberte, nahm er die zwei besten Stücke und schob sie sich einfach in die Tasche, als habe er gerade Lakritzstangen eingekauft. Wenn er sich größere Kunstwerke aneignete, ließ er einfach einen weiteren Waggon an seinen Privatzug anhängen und sie fortschaffen, so wie Cäsar auf seinen Feldzügen das Beutegut mit seinem kaiserlichen Wagen abtransportieren ließ. 150 Auf der Zugfahrt nach Berlin hüllte er sich in einen riesigen Seidenkimono der mit schweren goldenen Bordüren besetzt war. 151 Jeden Morgen stieg er in seine luxuriöse rote Marmorbadewanne, die in Übergröße gebaut worden war, um seine Leibesfülle aufnehmen zu können. Er hasste das Schaukeln von Zügen. Dadurch schwappte sein Badewasser über. Wenn Reichsmarschall Göring in sein Bad stieg, blieb sein Zug an Ort und Stelle stehen. Dadurch mussten auch andere Züge auf dieser oder benachbarten Strecken anhalten. Erst wenn der Reichsmarschall mit seinem Bad fertig war, konnten Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Soldaten wieder weitertransportiert werden.
Aber das sollte alles erst später kommen. An seinem ersten Tag im Jeu de Paume, inmitten all des Glanzes, der vom ERR beschafft worden war, schlenderte der rundliche Reichsmarschall in einem langen braunen Übermantel durch das Museum, einen verknautschten weichen Filzhut tief in die Stirn gezogen, und in einem Dandy-Anzug, der durch einen hellen, bunten Schal farblich akzentuiert wurde. Rose Valland erinnerte sich daran, was sie gedacht hatte, als sie Göring an diesem Tag gesehen hatte: ein fetter, extravaganter, eingebildeter, aber in seinem Geschmack seltsam durchschnittlicher Mann. 152
Woran das lag, fand sie später heraus. Außer Reichsmarschall war Göring auch Chef der deutschen Luftstreitkräfte. Seine Machtstellung beruhte maßgeblich darauf, dass man erwartete seine Luftwaffe würde die Kapitulation Großbritanniens erzwingen. Als er am 3. November 1940 im Jeu de Paume auftauchte, befand sich die deutsche Luftwaffe seit vier Monaten in der Luftschlacht um England, und seit drei Monaten wurden Angriffe auf London geflogen. Aber sie hatten Großbritannien nicht zur Aufgabe zwingen können. Zum ersten Mal hatten die Tyrannen einen Rückschlag erlitten. Und Göring trug dafür die Verantwortung.
Gleichzeitig lief auch Görings privater Raubzug in Westeuropa nicht mehr reibungslos. Für den raffgierigen Reichsmarschall war dies ein ähnlich einschneidender oder vielleicht sogar schlimmerer Rückschlag als der erfolglose Luftkrieg um England. Nach den deutschen »Blitzkriegen« waren die Kunstmärkte in den Niederlanden und in Frankreich in Bewegung gekommen. Hier tummelten sich zwielichtige Gestalten aller Art, Kollaborateure Opportunisten und Mittelsmänner, die bedenkenlos stahlen schacherten, betrogen und Kunstwerke gegen
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