Monuments Men
Ausreisevisa aus Europa eintauschten. Es gab Hunderte Deutsche, die aus den Wirren der Zeit einen persönlichen Vorteil zu schlagen suchten. Göring war skrupellos, raffiniert und mächtig, aber auch eingebildet und ließ sich leicht hinters Licht führen. Er wandte viel Zeit und Energie für Verhandlungen mit Kunstagenten auf und bekam dennoch nicht einmal die Hälfte dessen, was er wollte. Er war nach Paris gekommen, um seine Missstimmung durch eine groß angelegte Einkaufstour zu vertreiben.
An diesem kalten Wintertag im Jeu de Paume, dem 3. November 1940, zeigten ihm seine Repräsentanten nicht nur jene Art von Kunstwerken, die er begehrte; sie zeigten ihm auch eine neue Welt. Das war ihre geniale Leistung. Sie zeigten ihm einen kleinen Ausschnitt der Reichtümer Frankreichs und wie leicht es sei, sich auch den Rest anzueignen. Warum sollte man die Kunstwerke käuflich erwerben? Warum sollte man verhandeln und feilschen und versuchen, Parteigenossen auszutricksen, wenn Rosenberg die Möglichkeit hatte, zu stehlen und zu rauben? Im Rückblick erkannte Rose Valland, dass alles nur Theater war. Oberst von Behr, Hermann Bunjes und Görings persönlicher Kunstkurator und Haupteinkäufer Walter Andreas Hofer hatten die Vorführung für ihn arrangiert. Sie wussten, was der Reichsmarschall wollte, und sie wussten auch, wie sie es ihm verschaffen konnten. Sie mussten ihm jetzt nur zeigen, dass all dies erreichbar war. Auf ihre eigene Art wussten diese verschlagenen Nationalsozialisten die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie verknüpften ihr eigenes Schicksal geschickt mit dem seinen. Sie sagten zu Göring: Wir sind die Männer und die Organisation, auf die Sie sich stützen können, und wir können Ihnen liefern, was Sie wollen. Sie müssen es nur verlangen.
Als Göring zwei Tage später, am 5. November 1940, zum Jeu de Paume zurückkehrte, war er ein anderer Mensch. Valland konnte die diebische Freude in seinen Augen sehen, seinen Triumph. Er sprach mit seinen Fachleuten laut und prahlerisch über die Kunstwerke, rühmte die Vorzüge seiner Lieblingsstücke und nahm Bilder von den Wänden, damit er sie genauer betrachten konnte. Innerhalb von zwei Tagen hatte er alles in die Wege geleitet. Er hatte auch bereits eine Proklamation verfasst. Von nun an sollte Hitler auf Befehl des Reichsmarschalls den ersten Zugriff auf die vom ERR beschlagnahmten Kunstwerke erhalten. Göring stand an zweiter Stelle. An dritter kam Rosenberg. Dieser beschwerte sich natürlich, aber Hitler schlug sich auf die Seite Görings. In der NSDAP-Führung gab es keine großen Sympathien für Rosenberg. Die ganze Welt, dachte Valland, hasste diesen Mann. Und natürlich war Hitler sehr zufrieden über diese Lösung. Der Reichsmarschall setzte sich durch diese Entscheidung nicht in Gegensatz zu Hitler, vielmehr konnte er sich dadurch bei seinem Gönner einschmeicheln. Zugleich erlangte er dadurch die Verfügungsgewalt über das kulturelle Erbe Frankreichs.
Nun war das System eingerichtet. Die ERR-Dependance in Paris wurde zu Görings persönlicher Kunstbeschaffungsorganisation. Er kam insgesamt 21-mal in das Jeu de Paume, stets begleitet von persönlichen Helfern: Oberst von Behr, Hermann Bunjes und später Bruno Lohse, dem Kunsthändler und seinem persönlichen Sachwalter im ERR. Diese Männer ließen sich in das Unternehmen hineinziehen, weil die Position des Reichsmarschalls im nationalsozialistischen Herrschaftsapparat mit den Verlockungen der Macht verbunden war. Mit echter Macht, die es ihrem Inhaber ermöglichte, ein großes Vermögen anzuhäufen, über Leichen zu gehen und die Welt zu verändern. Die Männer im Jeu de Paume akzeptierten dies alles. Sie glaubten, am Hofe des Königs zu dienen. Der gierige Lohse versuchte wo immer möglich Geld herauszuschlagen. Der Emporkömmling von Behr stieg in die höchsten Ränge der Gesellschaft im besetzten Paris auf. Auch der machthungrige Bunjes erhielt eine einflussreiche Position.
Als Wolff-Metternich herausfand, dass Bunjes die Kunstschutz-Mission untergrub, entließ er ihn. Göring ernannte Bunjes daraufhin zum Offizier der Luftwaffe und bestellte ihn zum Direktor des deutschen Kunsthistorischen Instituts in Paris. Bis dahin war Bunjes ein kleiner Parteifunktionär und Wissenschaftler gewesen, jetzt leitete er eine bedeutende staatliche Organisation. Das verdankte er der Macht des Reichsmarschalls. Und die korrumpierten jungen Leute im Jeu de Paume, Bunjes und insbesondere Lohse, verehrten die
Weitere Kostenlose Bücher