Monuments Men
gehen. Er würde sich der Herausforderung nicht entziehen ... und die Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen. Es war nur eine Frage der Zeit. Aber Zeit war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten. Sie hatte nur einen einzigen Trumpf auszuspielen: ihre Informationen. Sie überlegte es sich anders. Sie würde mehr bewegen können, wenn sie sie zurückhielt; es war besser, zu warten, bis sie sicher wusste, dass er nach Deutschland gehen würde.
»Rose«, sagte Rorimer und griff sachte nach ihrer Hand.
Sie wandte sich ab. »Je suis désolée, James«, flüsterte sie. »Je ne peux pas.«
Es tut mir leid. Ich kann nicht.
TEIL III
DEUTSCHLAND
24
EIN DEUTSCHER JUDE IN DER US-ARMEE 155
Givet, Belgien
Januar 1945
Jeden Morgen bestieg Harry Ettlinger, der letzte Junge, der in Karlsruhe seine Bar-Mizwa begangen hatte, den Schulbus, der ihn von seinem Heim in einem Vorort von Newark, New Jersey, zur Highschool in der Stadtmitte brachte. Nachdem sie nun drei Jahre in Amerika lebten, hatte sein Vater endlich seinen ersten Job als Nachtwächter in einer Kofferfabrik gefunden. Die Familie war so arm, dass Harry die Rationierungen aufgrund des Krieges kaum mitbekam. Aber entlang der Fahrtroute des Busses waren die Veränderungen unverkennbar. In den winzigen Vorgärten der Stadt bauten die Leute Bohnen, Karotten und Kohl an, wie es auch Eleanor Roosevelt auf dem Rasen vor dem Weißen Haus tat. »Siegesgärten« wurden diese Parzellen genannt. Auch die freien Flächen waren von Schulkindern gesäubert und mit Bohnen bepflanzt worden. Diese Kinder und ihre Eltern fuhren nun »Siegesfahrräder«, die aus wiederverwertetem Gummi und aus Metallen hergestellt worden waren, die nicht für den Krieg benötigt wurden. Der Bus fuhr an einem Plakat vorbei, das an einem Laternenmast befestigt war: »Wer allein fährt, fährt mit Hitler.« Das war eine Aufforderung, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder zumindest Fahrgemeinschaften zu bilden. Harry war froh, dass seine Familie kein Auto besaß. Niemand fuhr allein; es war fast eine Sünde, auch nur daran zu denken. Er hatte gerüchteweise gehört, dass man bestraft werden konnte, wenn man bei Vergnügungsfahrten ohne konkretes Ziel erwischt wurde.
Der Bus erreichte das Gewerbegebiet von Newark, wo die Fabriken Tag und Nacht in Betrieb waren. Der Bus war jetzt immer voll, während er vor dem Krieg auf dieser Route meist nur schwach besetzt gewesen war. Nach der Haltestelle an der Fabrik, wenn die Arbeiter von der Nachtschicht zugestiegen waren, war er überfüllt, und es gab nicht einmal mehr Stehplätze. Harry sah, wie sie geduldig auf dem Gehsteig warteten, überwiegend ältere Männer und Frauen, erschöpft, aber stolz. Um Stoff für Zelte und Uniformen zu sparen, trugen die Frauen kürzere Kleider, und Harry konnte ihre wohlgeformten Beine sehen, wenn sie nach Hause gingen oder auf den nächsten Bus warteten. Aus demselben Grund war es Männern nicht erlaubt, Hosenaufschläge zu tragen. Von dieser Veränderung war Harry weniger beeindruckt.
Was ihm allerdings auffiel, waren die Fahnen. An jeder Fabrik an fast jedem Haus wehten amerikanische Fahnen. In den Wohngebieten gab es in nahezu jedem Fenster ein weißes Banner mit einem blauen Stern und einer roten Umrandung. Das Banner bedeutete, dass eines der Haushaltsmitglieder in der Armee Dienst tat. Wenn das Fähnchen einen goldenen Stern und eine gelbe Umrandung zeigte, war ein Haushaltsmitglied im Einsatz gefallen.
Als Harry die Highschool abschloss, wusste er, dass seine Eltern das blau-rote Banner ins Fenster hängen würden, vielleicht auch zwei, da auch sein Bruder Klaus zur Marine gehen wollte, sobald er 17 Jahre alt war. Einige Jungen hatten bereits die Highschool verlassen, darunter auch der Jahrgangsbeste Casimir Cwiakala, der später über dem Pazifik abgeschossen werden sollte. Nur ein Drittel der Jungen in Harrys Klasse hatten die Absicht, an der Abschlussfeier teilzunehmen. Die übrigen waren bereits in der Armee oder der Marine und wurden zu Piloten, Panzerfahrern oder Infanteristen ausgebildet.
Harry wollte sich nicht vor dem Krieg drücken, aber er hatte es auch nicht eilig, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden. Der Krieg würde ihm nicht davonlaufen; es würde immer noch etwas für ihn zu tun geben. Innerlich befriedigte ihn dies nicht, aber seine Pflicht zu kämpfen stellte er nicht infrage. Wie jeder andere junge Mann würde Harry Ettlinger im Lauf des Jahres 1944 zum Militär gehen, nach
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