Monuments Men
fünften Lastwagen. Sie redeten nicht viel miteinander, während die übrigen Lastwagen beladen wurden, und sie sagten auch nicht viel, als sie hörten, wie der Lastwagen vor ihnen den Gang einlegte und abfuhr. Jetzt ging es los, und sie waren aufgeregt und ängstlich zugleich.
Aber dann lief plötzlich ein Sergeant am Konvoi entlang und wedelte mit den Armen, um den Wagen an der Spitze zum Halten zu veranlassen. Als die Lastwagen zum Stehen kamen, ging der Sergeant die Reihe entlang und rief immer wieder, sodass sämtliche Soldaten es hören konnten: »Folgende drei Männer packen ihre Sachen und kommen zu mir.« Harry war so entsetzt, als er seinen Namen hörte, dass er sich zunächst nicht bewegte.
»Das bist du«, sagte jemand und stieß ihn an.
Harry stieg vom Lastwagen und legte seine Sachen vor sich auf den Boden. Weiter unten in der Reihe sah er, wie zwei weitere Männer von den mehr als 2500 von ihren Lastwagen stiegen und ihre Ausrüstung ablegten. Er schaute ein letztes Mal zu den acht Männern zurück, die noch in seiner Einheit verblieben waren, seinen Waffenbrüdern. Innerhalb eines Monats würden drei von ihnen tot sein. Vier weitere würden schwer verwundet werden. Nur einer sollte den Krieg unversehrt überstehen.
»Schütze Ettlinger, Sir.« Harry salutierte, als der Sergeant näher kam. Der Sergeant nickte, strich den Namen auf seinem Klemmbrett und signalisierte dem Konvoi, dass er jetzt losfahren könne. Als die Lastwagen hinausrollten, schulterte Harry seinen Sack und ging zurück zur Scheune. Er wusste nicht, wohin er jetzt kommen würde und warum, aber er war sicher, dass es nicht an die Front gehen würde. Es war der 28. Januar 1945, sein 19. Geburtstag. Harry Ettlinger sollte diesen Geburtstag später als seinen schönsten in Erinnerung behalten.
25
ÜBERLEBEN IN EINEM ZERSTÖRTEN DORF
La Gleize, Belgien
Februar 1945
Walker Hancock kam an einem eisig kalten Februarnachmittag in La Gleize an. Vor der Ardennenoffensive der Deutschen hatte er hier einmal einen sehr angenehmen Nachmittag mit einer freundlichen Gastgeberin und einer entzückenden unbekannten Skulptur der Jungfrau Maria verbracht. Während der Ardennenschlacht hatte er mit Entsetzen verfolgt, wie der Feind auf der Landkarte nach Westen vorrückte, Aachen zurückeroberte, den Westwall überquerte und schließlich nach Belgien vorstieß, wo er immer langsamer wurde und dann am Amblève-Tal zum Stehen kam. Genau an dem Punkt, wo die Front erstarrte, direkt unterhalb der Nadel auf der Karte, lag der Ort La Gleize. Jedes Mal, wenn er auf diese Nadel blickte, dachte er an die junge Frau und die außergewöhnliche Madonnenfigur, die noch vor wenigen Wochen so weit entfernt zu sein schienen vom Krieg. Nichts kann sich diesem Krieg entziehen, dachte er und überlegte, ob beide wohl unversehrt sein würden. Nichts ist sicher.
Nun, da die Ardennenschlacht vorüber war und die Alliierten den deutschen Vorstoß abgewehrt hatten, wollte Walker Hancock sehen, was aus dem friedlichen kleinen Dorf geworden war. Bill Lesley, der erste Monuments Man, der nach der Ardennenoffensive das Tal bereiste, hatte berichtet, dass La Gleize fast vollständig zerstört worden sei, aber dennoch war Hancock überrascht von dem grauenhaften Anblick, der sich ihm bot. Alle Häuser waren eingestürzt, die Mauern verkohlt, und überall lagen militärische Ausrüstungsgegenstände und Patronenhülsen herum. Die Kirche, die von schwerer Artillerie beschossen worden war, war fast nur noch eine leere Hülle. Sie schien sich an den Hügel zu lehnen, jederzeit bereit, umzustürzen und die letzten Reste der Stadt auszulöschen. Seltsamerweise war die Tür verschlossen; Hancock stieg durch ein großes, klaffendes Loch in das Gebäude. Das Dach war weggerissen worden, und die zersplitterten Balken schwangen im Wind, der Eis und Schnee ankündigte, gefährlich hin und her. Die Kirchenbänke waren umgedreht und zu Barrikaden aufgeschichtet, die Stühle hochgeschleudert worden. Die Deutschen hatten die Kirche zuerst als Festung genutzt, dann als Lazarett, und Hancock vermutete, dass unter dem Schnee Erfrorene lagen, Deutsche oder auch Amerikaner. Nichts kann sich diesem Krieg entziehen, dachte er abermals.
Aber eines war unverändert: die Madonna. Sie stand noch immer da, wo sie auch schon vor zwei Monaten gestanden hatte, in der Mitte des Kirchenschiffs, mit einer Hand auf dem Herzen, die andere segnend erhoben. Sie schien in ihrer Konzentriertheit auf das ferne
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