Moonlit Nights
konnte er sich so eine Karre
leisten? Dealte er nebenbei mit Drogen? War er womöglich ein
Auftragskiller? Hundert Möglichkeiten schossen mir durch den
Kopf. Eine unrealistischer als die andere. Liam würde doch
keinen Menschen umbringen. Würde er nicht? Mir fiel auf, dass
ich so gut wie gar nichts über Liam oder seine Familie wusste,
obwohl er mir so vertraut vorkam.
Wenn er sich so ein Auto kaufen konnte, warum half er dann bei
uns im Laden aus?
Liam holte mich mit einem: »Woran denkst du?«, in die Realität
zurück. Weg von den Drogendealern, weg von Mafiosos,
zwischen denen ich mir ihn eben noch vorgestellt hatte. »Warum
du bei uns im Laden aushilfst, wenn du dir so ein Auto leisten
kannst«, antwortete ich wahrheitsgemäß und seufzte, weil ich
befürchtete, ihm zu nahe getreten zu sein. Seine Erklärung war
überraschend einfach und genauso alltäglich. »Weil mein Dad
meinte, dadurch würde ich die Dinge besser zu schätzen wissen
und lernen, Verantwortung zu tragen.« Er verdrehte die Augen.
»Da hat dein Dad vollkommen recht«, tadelte ich sein
Augenrollen augenblicklich, weil mich die Angst durchfuhr, Liam
könnte auf die Idee kommen, seinen Job wieder zu kündigen.
Finanziell hatte er es scheinbar nicht nötig. Schuldbewusst
konzentrierte sich Liam auf die Straße.
»Möchtest du denn gar nicht wissen, wo wir hinfahren?«,
versuchte er abzulenken. Es funktionierte. Er hatte recht. Ich
setzte mich einfach so mir nichts dir nichts bei einem fremden
Mann (na gut, nicht ganz fremd) ins Auto und hatte keinen
Schimmer, wo wir hinfuhren. Darüber hatte ich mir wirklich noch
keine Gedanken gemacht.
»Ich lass’ mich überraschen.« Gedankenverloren schaute ich aus
dem Fenster und bemerkte, wie Liam mich beobachtete. Ein
leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Gar nicht neugierig?« Hatte Liam eine Ahnung! Jetzt – wo er das
Thema angesprochen hatte – platzte ich fast vor Neugier, doch ich
zwang mich, so cool wie möglich zu bleiben und schüttelte lässig
den Kopf. Schließlich wollte ich mich nicht schon wieder
verhalten wie ein kreischender Teenie, der gerade seinem
Lieblingsstar begegnet war.
»Magst du Überraschungen?«, bohrte Liam weiter. Ruckartig
drehte ich meinen Kopf in seine Richtung – alle Contenance
dahin. »Und wie!« Und das stimmte. Ich liebte Überraschungen
über alles. Ich freute mich ja jetzt noch wie ein kleines Kind über
Geschenke, die unter dem Weihnachtsbaum lagen, besonders
wenn ich nicht wusste, was sich darin befand. Wobei das leider
nicht mehr allzu oft vorkam. Als Kind hatte ich bereits eine
ausgefeilte Technik entwickelt, mit deren Hilfe ich das Versteck
der Geschenke unbemerkt und ohne Spuren zu hinterlassen,
ausfindig machen konnte.
Liam starrte auf die Fahrbahn und murmelte irgendetwas vor sich
hin, was sich anhörte wie, »wenn du wüsstest, was ich für eine
riesige Überraschung habe«, doch sein Blick dabei sah nicht so
aus, wie von jemandem, der einem eine schöne Überraschung
machen wollte. Sein Blick war wehmütig und voller Trauer.
Vielleicht war es keine schöne Überraschung? Sofort breitete sich
ein flaues Gefühl in meinem Magen aus. »Bitte?«, fragte ich
höflich. Ich wollte, dass er das noch einmal wiederholte, da er so
leise gesprochen hatte und ich nicht sicher war, es richtig
verstanden zu haben. Doch offenbar lag es nicht in Liams
Absicht, dass ich es überhaupt hören sollte. »Wir sind gleich da«,
log er mich an und starrte immer noch auf die Straße. »Das hast
du nicht gesagt.« Ich bemerkte Liams kurze Verunsicherung, doch
er reagierte gar nicht darauf. Er tat so, als konzentriere er sich voll
und ganz auf die Fahrbahn.
Zugegeben, es könnte daran liegen, dass er Auto fuhr und sich
tatsächlich auf die Straße konzentrieren musste – wir fuhren nicht
gerade langsam, doch ich hatte mehr das Gefühl, als hätte er
dieses Gespräch absichtlich beendet.
Liam setzte den Blinker und bog in einen kleinen Waldweg ein.
»Ich dachte, wir wollten einen Kaffee trinken?«, platzte es aus mir
heraus, als ich vor mir mit Schrecken die unbefestigte Straße sah,
die links und rechts alleenartig von Bäumen gesäumt wurde. »Ich
dachte, du magst Überraschungen? «, zog er mich auf und lachte
sein bezauberndes Lachen. Ich schnaufte. Ich mochte
Überraschungen, solange sie nichts mit sportlichen Aktivitäten zu
tun hatten. Liam schien meine Gedanken zu erraten und versuchte
mich zu
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