Moor
verkauft, würde sie dann nicht als Geschasste mit einem Handkarren voll Besitz von dannen ziehen müssen, ein Triumph, den sie ihm nicht gönnt, dem Schlächter, der ihren Mann auf dem Gewissen hat, mit solchen Gedanken hat sie sich auch gestern am Arbeitstisch wieder fertiggemacht, statt den Stier, wie man sagt, bei den Hörnern zu packen. Sie blickte auf die Uhr, fast Mittag. Dienstags hast du Unterricht bis zur fünften Stunde, dann kommst du heim und willst essen. Sie nahm irgendeinen Pinsel, irgendeine Farbe und stach noch einmal blind in das Gemetzel auf der Leinwand, wo auch zuvor schon nichts lebendig gewesen war. Dann stand sie auf.
Zweimal war die Leitung besetzt, beim dritten Wählversuch endlich eine mürrische Männerstimme, die ihr die Öffnungszeiten des Arbeitsamts Hamburg-Eimsbüttel mitteilte, dienstags bis 16.30 Uhr, das müsste sie schaffen. Sie öffnete den Kühlschrank, zwei Paprikaschoten, ein angebrochenes Glas Bockwürstchen, Gewürzgurken, im Korb unterm Spültisch fand sie Zwiebeln und ein paar Kartoffeln. Der Allestopf wäre dem Jungen ein kleiner Trost für den einsamen Nachmittag, zubereitet in zwanzig Minuten. Eine Zwiebel andünsten, Gemüsestücke und Kartoffelscheiben dazu, das Ganze mit Brühe aufgießen, Salz, Pfeffer, scharfes Paprikapulver, bei kleiner Flamme eine halbe Stunde kochen, die sie genutzt hat, um sich zurechtzumachen, Puder, Haarspray, ein Spritzer Parfum, den Kajalstrich ein wenig über den Lidrand hinausgezogen, was den Augenaufschlag betont, sollte sie im Amt an einen Mann geraten. Am Wangenschatten hat sie verbissener gemalt als zuvor an ihrem Bild. Den Lippenstift, der zu buhlerisch wirkte, wischte sie wieder ab, doch jetzt sah man den Grind, zu labil, dachte sie, egal.
Im Schlafzimmer durchwühlte sie den Schrank nach dembeigefarbenen Kostüm, das sie bieder findet und deshalb ins hinterste Eck verbannt hat, für einen Behördengang aber schien es ihr die passende Garderobe. Von der Küche herauf roch es angebrannt, sie hatte bei der Auswahl der Bluse zu lange gezögert, zurück am Herd, klebte der Papp am Topfboden fest, doch die obere Schicht würdest du essen können. Sie löste das Haar wieder aus dem Knoten, der ihr jetzt altjüngferlich vorkam. Eilig schnitt sie Bockwurst und Gurken klein und rührte alles mit etwas Schmant in den Sud, fertig.
Am längsten dauerte das Schreiben der Nachricht an dich. Die Wahrheit kam nicht in Frage, würde sie in Erklärungsnot bringen, außerdem, dachte sie, wollen Kinder von ihren Müttern belogen werden, der Nikolaus, das Christkind, der Storch, der die Babys im Schnabel bringt, und auch die Geschichte, in der dein Vater kurz vor deiner Geburt bei einem Arbeitsunfall in der Torfgrube ums Leben kommt, ist nur ein Teil der Wahrheit, denn der Stich war ja damals bereits geflutet und mit Erlen bepflanzt, der Teich am Ende des Heidedamms mit seinen Rindengesichtern und Nebelgeistern schon immer ein Ort von Trug und Täuschung gewesen.
Sie entschied sich für einen Notfall in der Galerie, formulierte den Satz im Kopf, doch verhunzte ihn dann, verdrehte, wie immer, wenn sie unter Druck steht, die Buchstaben in den Wörtern, eine Schreibschwäche, die ihr selbst erst in der dritten Klasse aufgefallen war, als sie ihren Namen auf das Tischschildchen gekritzelt und die neue Lehrerin sie fortan Magret gerufen hatte, nicht Magra , wie es auf dem Kärtchen stand, und schon gar nicht Marga oder wenigstens Margareta, so lautet ihr Vorname im Pass. Selbst für die Mitschülerinnen war sie plötzlich die Magret, die nichtschreiben konnte oder wollte, Magret lautete fortan der Name ihrer Verweigerung von Fleiß und Pflichtbewusstsein, sogar auf dem Abschlusszeugnis, schwarz auf weiß über den entsprechenden Noten, die sie für eine Ausbildung in einem Betrieb kaum qualifizierten, geschweige denn für ein Studium, womit ihre Tante recht behielt, die einzige noch lebende Verwandte in Hamburg, die ihr gleich geraten hatte, sich schleunigst eine Arbeit mit Kost und Logis zu suchen, und weil sie, Marga, bei dieser Tante zweiten Grades, Tante Frederike, die mit ihrer Nachbarin unentwegt Rommé spielte und nach Kohlrouladen roch, sowieso nicht hatte bleiben wollen, schlenderte sie am Tag ihrer Entlassung aus dem Diakonissenheim Richtung Altona, wo sie in den Gassen die Schaufenster betrachtete und in der Glastür eines Geschäfts mit dem Namen Modehaus Siana einen Aushang entdeckte: Weibliche Aushilfe gesucht .
Sie erinnert sich genau an
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