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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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ich dem an. Der hat das im Blick. Was von einem geprügelten Hund. Er lässt die Peitsche durch die Luft schnalzen, schiebt sich mit der Spitze die Schlafmaske halb über die Augen und schlägt ein, als im Spiegel der schwarze Ritter die Hand aus dem Kasten streckt.
    Tanja stürzt im Flug ab und landet weich auf der Matratze. Nicht mehr bewegen jetzt, denkt sie, sonst wird mir schlecht. In der Kehle schmeckt es schon sauer. Ich sollte kotzen, dann wär’ alles raus. Muss auch dringend pinkeln, und in der Schulter brennt es wieder. Sie lauscht auf die Stelle, hört ein Knirschen innen wie außen; der Putz scheint von den Mauern zu rieseln, der Boden krümelig, steuerlos der Körper, und trotz der Tabletten schmerzt jetzt auch das Bein. Ihr ist bei der Sache doch nicht ganz wohl. Ihre Mutter hatte schon irgendwie recht mit ihren Bedenken. Sie wüsste jetzt,was zu tun ist. Ein kaltes Stirntuch, eine salzige Brühe, die Magentropfen, Schlaf. Beim Gedanken an die Familie spürt sie Beruhigung, wird ihr warm in der Brust. Ist das Heimweh? Die Welle trägt sie weg aus der bedrohlichen Fremde des Hauses, die Dorfstraße hinunter und auf den Kirchplatz, wo die Mutter steht und die Arme öffnet, das gute Gesicht voll Sorge. Sie stemmt sich hoch und blickt sich suchend um, doch da ist niemand mehr.
    Du schleichst über den Flur wie ein Dieb. Tanja darf nicht wissen, was du vorhast: ihr den Kerl abluchsen, Berührungen klauen, die ihr gehören. Das Bein-an-Bein und Arm-in-Arm im Dickicht am Teich; das Betasten der kleinen, absichtsvoll entblößten Hautstellen, wo der Wind eine Gänsehaut macht; verschmelzende Lippen, das Ineinander der Zungen, nicht wissen, wohin mit den Augen …
    Vors Bad!, ruf ich dir zu. An die Tür!, treib ich dich an. Durch den Spalt einen Blick erhaschen! Beobachten, wie Hannes sich in das Gummikleid zwängt, den kantigen Bauern in den Fummel der Mutter. Sehen, wie er das Kleid dehnt und beult. Du hast doch Tanja zugehört und weißt jetzt, wie’s geht. Von wegen Spagat, Klappmesser und Hampelmann! Die Turnerei hat ja ganz andere Ziele. Ob sie’s mit der Zunge machen? Wohin dann mit der Luft? Durch die Nase vielleicht? Atmet man beim Küssen? Auch das hättest du sie gern noch gefragt. Alles wolltest du wissen. Alles über Hannes und sie. So besoffen, hätte sie es dir brühwarm erzählt. Doch sie lag plötzlich reglos da, eingeschlafen zwischen den Kleiderbergen, fast aus dem Stehen.
    Auch dir dreht sich das Hirn, schwappt im Magen der Schnaps. Mein armer Junge!, rufe ich aus deinem Zimmer und reiße die letzten Marmeladengläser aus dem Regal. DieLibellenlarven suchen das Weite, tanzen im Sturm, fangen den Wind in den leeren Leibern. Du fährst herum, siehst das Türloch gähnen, es spuckt Schreie, Fratzen, Erinnerungsfetzen: Marga wie tot im Bett, Marianne, die den Feudel, Karl, der die Fäuste schwingt, das Kind in der Ecke, die roten Männer über der Mutter, und im Fenster der Schnee.
    Plötzlich ist sie wieder da, platzt hinein in deine Gedanken. Wie frei die letzten Stunden doch waren! Erwachsen, schauerlich schön. Wo hat man sie hingebracht? Warum ruft sie nicht an? Und wenn sie heute noch wiederkommt?
    Da tönt schon dein Name, fern und dünn wie aus einer längst versunkenen Welt. Du drehst dich erschrocken um, doch ich fange dich ab. Es ist nur Tanja, die nach dir ruft.
    Deine Mutter, Dion, kommt nicht wieder. Sie hat dir lange genug das Hirn verstopft, den Brei gekocht, den Arsch gewischt, Margas Junge, Margas Liebling, Margas Glück und Margas Not, hier ein Küsschen, dort ein Klaps, Marga eben noch alles und immer, jetzt Mutter zack weg! Und Hannes hinein in die Lücke! Den jungen, saftigen Körper in ihr Hurenkleid!
    Der Flur scheint dir endlos, krumm und gewunden, bei jedem Schritt schwanken die Wände, buckeln sich und beugen sich nieder, als berste das Haus auseinander. Nicht umdrehen! Wenn du jetzt zurückschaust, kommt es dir hoch. Voran, voran! Nur immer im Lauf! Voran, sonst wird sie dich holen! Sieh dort die Tür, das Licht, den zitternden Schatten; es ist Hannes, der schon auf dich wartet! Du beginnst zu rennen, mit zusammengebissenen Zähnen und der Faust auf dem Mund in den weißen, fauchenden Schlund.
    Ronja zerrt ein letztes Mal am Rock ihres Frauchens, gibt auf. Schaut sich enttäuscht um, bellt nach den Jungs. Wieder dasGeräusch im Dachstuhl, dort, scheint ihr, wartet ein neues Spiel. Sie wedelt mit der Rute, doch die Kinder sind beschäftigt, die eine schläft, die

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