Moor
anderen ignorieren sie, niemand beachtet ihr Betteln. Schlechte Hundelaune, ärgerliches Fiepen. Ich pfeife ein zweites Mal. Der Welpe hoppelt die Treppe hoch in den Speicher, sieht die im Luftzug züngelnden Schneenattern zwischen den zerbrochenen Ziegeln, macht ein Freudenschwänzchen. Braver Hund, und jetzt fass!
Das Haus wirft alles ab. Enthäutet ragt es aus meinen Händen, der Giebel skalpiert, Balken wie brechende Rippen. Es will leicht sein und offen für alle Blicke. Gibt mir Ziegel und Mauersteine, Placken von schimmligem Putz, Angehämmertes und Aufgezwungenes, all den nutzlosen Ballast. Bald wird es abgedeckt und ausgeweidet sein, davonwirbeln als Asche und Staub. Die widerspenstigen Wände vergessen, das Geflüster darin, die Fäulnis im Keller, Sporen von Pilzen und Moosen, Keime von Vergangenheit, die es gesät hat gegen den Angriff der Zeit, Spuren für deine Erinnerung: Kellerasseln, Spinnen, trapsende Nager, Geraschel, vertrocknete Tränen, verstummte Schreie, Kinderpopel und Bubenwichse in Bettritzen, all das Zeug, das es gehortet hat, um sich nicht irgendwann selbst zu vergessen.
Endlich weg damit, stöhnt es und wirft sich in den Sturm. Dreizehn Jahre lang hat es dir Beständigkeit, Schutz, ein Zuhause gegeben und jeden deiner Schritte bewacht, auch die, von denen du immer geglaubt hast, nur du könntest sie sehen. Jetzt möchte es etwas anderem dienen als deiner Geschichte, die es satthat, über und über, bis unter das berstende Dach. Danach soll das Wasser kommen, das es aushöhlt, der Wind, der es abträgt, der Frühling, das Feuer, die Freiheit.
In deinem Buch musst du dich an dieser Stelle plötzlich übergeben. Du schreibst, das Haus habe in diesem Moment so sehr gewackelt, dass du zum Klo gestürzt bist, Hannes vor die Füße. Erst später hast du verstanden, was in seinem Kopf vorgegangen, warum er an jenem Nachmittag zu dir gekommen war. Nicht wegen Mariannes Fresspaket; nicht, weil er plötzlich dein Freund sein wollte, was du anfänglich noch geglaubt oder gehofft hattest. Sicher, da habe es die Sache an der Jauchegrube gegeben, den unheimlichen Besuch mit dem Teppichklopfer in der Nacht zuvor. Aber erst später hast du dir auf all das einen Reim gemacht. In diesem Moment habe dich nur der Kotzkrampf gewürgt und das sei schon schlimm genug gewesen.
Hannes sieht dich am Boden, im Quadrat, das du noch am Morgen mit Lippenstift um das Klo gezogen hast, als Sicherheitszone. Wie du dich in den Kasten krümmst, spult sich in seinem Kopf der Comicstreifen ab: Batman gegen Robin, der Feind gegen den Freund, Schläger und Geschlagener, das an öden Nachmittagen so oft geprobte, im Schutz seiner Hefte schon unzählige Male gewonnene Spiel. Er grätscht sich über dich und stellt sich in Position.
Doch du hast in diesem Moment nur die Schüssel gesehen. Die Schüssel, schreibst du, war voll bis zum Rand. Keiner hatte den Abfluss repariert. Ob du in diesem Moment tatsächlich an den Rochen im Rohr gedacht hast, der es verstopfte, kannst du heute, mit diesem großen zeitlichen Abstand, nicht mehr genau sagen. Vielleicht ist diese Idee erst später hinzugekommen, wie ja fast alles in deinem Buch in Wahrheit nicht die tatsächlichen Gedanken und Gefühle des Dreizehnjährigen, sondern die Überlegungen eines Erwachsenen sind, wiedergekäute und verzerrte Erinnerungen, notgedrungene, dem Vergessen abgewrungene Wahrheiten, ein Märchen.
Niemand, Dion, das muss hier jetzt endlich einmal gesagt werden, hat je aus dem Moor einen Fisch gezogen. Insektenlarven, ja, die Häute von Ringelnattern, in die Schlenken geworfene Autoreifen. Unterschlagene Liebesbriefe, verschmähte Verlobungsringe, die Tonkrüge der Germanen, der Knabe aus der Eisenzeit, all das ist Fakt. Versunkene Schätze, die im Licht der Gegenwart besonders geheimnisvoll glänzen. Aber noch nie hat hier unten ein Rochen gelebt!
Ausgerechnet der aber soll der Grund für das ganze Drama gewesen sein. In deiner Not, schreibst du, hast du nicht gewusst, wohin mit dem Schwall, der jeden Moment aus deinem Mund schießen würde. Die Badewanne war zu weit weg, das Waschbecken zu hoch gewesen. Da habe Hannes dich plötzlich gepackt.
Wollte er dir beistehen? Nicht über das Rohrloch gezwungen, schreibst du, nein, gehoben habe er dich, wie eine Mutter das Kind hochhebt, wenn ihm die Kloschüssel erst bis zur Brust reicht. Heimlich hast du dir noch mehr Berührungen gewünscht, leise Worte an deinem Ohr, seinen Trost. Einen unverhofften Kuss? In
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