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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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sich in die Tiefe verlängert, wo sich die Bewegungen stauen, gefangene Blicke. Na sag schon, Dion, wie fühlt es sich an, betrunken zu sein?
    Hannes beugt sich abermals in den Schrank. Auf seinem Rücken rutscht der Pullover hoch: der Gürtel mit Ösen und spitzen Nieten, darüber die Zacken der Wirbelsäule, irgendwie animalisch, denkst du, der Kamm eines Reptils. Auch Tanja hat jetzt etwas von einem Tier, wuselt durch die Klamotten, kichert, schnappt und girrt, macht dich ganz kirre. Hannes präsentiert die Peitsche. Die Plastikummantelung ist abgeplatzt, der Stab leicht verbogen, mit gezwirbelten Lederbändchen an der Spitze. Hopp hopp hopp, ruft Tanja, grätscht die Beine, packt dich an den Schultern und mimt die Reiterin. Das Spielzeug scheint euch zu gefallen, mein Plan funktioniert.
    Hannes wirft ihr das Latexkleid hin. Fettig schimmernd rollt es sich auf ihrem Leib ab. Ihr entfährt ein Laut des Ekels, auch dir juckt es im Hals, du willst dir deine Mutter nicht in dieser Montur vorstellen. In Gedanken zwingst du sie raus aus dem Ding, zurück in den Bademantel und an das Ufer des Teichs, weiß und in Nebel gehüllt, in den Farben des Morgens.
    Hannes sieht da ganz andere Bilder: Tanja, die ihre spitzen Glieder in den Stoff drückt, Falten, die sich aufwerfen, Nähte, die knirschen. Er mag die glänzenden Gewänder, unter denen sich jeder Muskelstrang abzeichnet. Gern würde er das Kostüm von Batman besitzen, das nachtblaue mit dem schwarzen Slip und dem eng anliegenden Leibchen, das jede Rippe betont.
    Zieh’s an, sagt er, fast stöhnt er es. Seine Augen rücken noch enger, der Blick über Kreuz. Der hat schon ordentlich einen sitzen, flüstere ich dir zu, die Gelegenheit wäre günstig! Er reckt den Kopf, lockert sich, bleckt die Zähne. Was spielt denn deine Mutter damit?, grinst er dich an. Fünf Mark, wenn du es anziehst, fährt Tanja dazwischen und wühlt aus der Hosentasche unter dem Kleid einen Heiermann. Haha, sagt Hannes, und Tanja: Kein Witz. Du tauchst in den Schrank, durch den vertrauten Geruch nach Wäsche auf den Grund längst vergangener Tage, als deine Mutter, in einerZeit ohne Bilder und Erinnerung, mit solchem Zeug am Leib nach Hamburg gefahren sein muss.
    Tatsächlich findest du die zum Gummikleid passenden Handschuhe, armlange abgestoßene Dinger. Wirfst sie Hannes hin, hauchst: hzehn, und rennst in dein Zimmer, wo du ein paar Münzen aus dem Marmeladenglas mit dem Taschengeld fingerst. Zurück vor dem Schrank legst du Tanja deinen Einsatz in die Hand. Sie sagt: gekauft, und lässt die Geldstücke springen. Das wird lustig! Szenenapplaus vom Fenster; ich schleudere Schneebälle und Eisblumen auf die Bühne.
    Hannes befühlt die Handschuhe, schlüpft hinein. Das Gummi schmiegt sich um Gelenke und Finger. Batman, weiß er, trägt bei seinen Einsätzen die gleichen in Blau. Er stellt sich vor, wie er sich damit anfasst und stramm macht, erst den eigenen Körper, dann den, der sich ihm unterwirft. Durch das Latex hindurch sind die Berührungen gedämpft, wie maskiert; zwischen dem, was die Hand tut, und dem Impuls, der sie führt, ist ein Spielraum, in dem ein Tupfer zum tödlichen Schlag werden kann, und jedes Streicheln seiner inneren Hand ist außen ein Biegen und Brechen, ohne dass seine Finger Gewalt ausüben, denn es würde der Handschuh sein, der ihn lenkt. Batman schöpft seine übernatürlichen Kräfte nur aus dem Kostüm, ohne Verkleidung wäre er ein Mensch wie jeder andere, mit Schwächen und Angst vor Schmerzen. In der doppelten Haut aber ist er mächtig und frei; ein paar Millimeter zwischen innen und außen, in denen das Undenkbare möglich ist.
    Die Flasche, befiehlt er, du reichst ihm den Korn. Er trinkt, übergibt an Tanja, die ebenfalls ansetzt, und so weiter, dieJugend hat ihre Rituale. Mir dauert das alles zu lang. Für die Stunde zwischen fünf und sechs haben die Meteorologen meinen Höhepunkt vorausgesagt. Zwar ist meine Kraft groß und ohne Zeitplan, aber nicht von Dauer. Ein Schneesturm ist, wie alle Naturkatastrophen, ein Momentereignis. Er schwillt an, zerstört, flaut ab. Das Loch im Dach ist bereits ein Schlund, der den Himmel ins Haus saugt. Also los, Kinder, ein bisschen mehr Mumm und Zack!
    Schnapsflasche jetzt leer, erste Bö Windstärke 11, nächster Ziegel weg. Hannes im Bad. Er sieht die Fliesenquadrate als leere Comic-Kästen, die roten Lippenstiftbalken um Badewanne und Waschbecken bilden den Seitenfalz, das Haus ein neuer, noch ungeschriebener Band.

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