Moor
Buchstabe, der noch tödlicher zuzustoßen gewillt ist als das mit seinen Zacken drohende Z oder das kantige K, und du springst todesmutig über das Wasserloch auf die nächste Wollgrasinsel und rennst durch Wind und niederwallendes Gewölk in die Weite, die Wüste, in das verworrene und verwucherte Wörterland, immer weiter hinaus zu mir.
◆◆
Marga!, ruft Ute und schwebt ihr entgegen, elegant und luftig wie immer, das fünfzigjährige Gesicht von den besten Chirurgen der Stadt auf ewige Ende dreißig getrimmt. Komplizierter Duft umweht sie und schlichte grüne Seide, wenn in der Galerie nichts los ist, geht Ute zu Chanel nebenan. Sie küsst Marga mit spitzen Lippen links und rechts, das Lächeln danach wirkt gequält. Sie habe ja längst anrufen wollen, doch es gehe, seufzt sie, mal wieder alles drunter und drüber. Sie deutet auf die Leinwände, die noch in Luftpolsterfolie verpackt an der Wand lehnen. Neue Ausstellung? Die Galeristin winkt ab. Und was mit ihren Bildern sei?, hakt Marga nach; die kleine Auswahl an Gemälden, die auszustellen Ute sich nach langen Diskussionen bereit erklärt hatte, war in den letzten Monaten immer weiter ins Vergessen geraten, sie wanderte von der Schaufensterwand zum Mittelgang und schließlich in den Hinterraum. Sie spürt Utes Hand im Rücken, die sie zur Sitzgruppe steuert, doch sie schert aus und betrachtet die neuen Werke mit den knalligen Farben. Kaffee?, ruft Ute ihr zu. Marga lupft eine Folie, darunter ein schematisiertes Frauenporträt, in vier verschiedenen roten Farbfeldern wie Puzzleteile aneinandergelegt, irgendein Druckverfahren.
Daniel Röcker, schwärmt Ute, die plötzlich mit zwei Tassen in der Hand hinter ihr steht. Schwierige Farben, erwidert Marga, Rot kommt, sagt die Galeristin, nippt an der Tasse und deutet auf Margas neues Kleid. Röcker sei Meisterschüler von Professor Wiepersfürth, sie habe sich breitschlagen lassen, seine Abschlussausstellung zu präsentieren. Breitschlagen lassen , denkt Marga, und dass sie selbst Ute, das kalte Eisen, jahrelang bearbeitet und es doch nicht geschafft hat, auch nur in den Dunstkreis von Wiepersfürth zu gelangen, ein Anruf hätte genügt, und sie wäre drin gewesen, in der Meisterklasse, im Gespräch, im Leben. Sie sucht in Utes Gesicht einen Hinweis auf ihr Verhältnis zu diesem Maler, dessen Namen sie zu kennen glaubt. Ute lächelt mit schmalen Lippen und wachen Augen hinter entspiegelten Gläsern, jede möglicherweise entlarvende Gefühlsregung ist aus ihren Zügen verbannt. Im Meisterwerk, das ihr Gesicht nun ist, sind die Brüche, die auch ihre, Utes, Biografie zerklüften, kaum mehr zu erkennen, ausgemerzt und übermalt die Sorgenfalten und Trauerränder aus einer Zeit, da sie sich als aufstrebende Kunstkritikerin gegen ihren einstigen Traum, selbst als Malerin erfolgreich zu werden, entschieden hatte, auch gegen die Schwangerschaft, die ihre Pläne durchkreuzte.
Doch Marga weiß um die sentimentale Sehnsucht, die sie als alleinerziehende Mutter bei ihrer Galeristin weckt unddie vielleicht der Grund ist, warum ihre Werke trotz fehlender Verkäufe noch immer in der hintersten Ecke dieser Räume hängen. Kampfbereit zieht sie aus der Folie das Bild des Libellenjungen. Ute mustert es überrascht. Marga wendet sich ab, geht ein paar Schritte, betrachtet die popfarbige neue Ausstellung und aus den Augenwinkeln die Galeristin, die mit einem Gesicht, das kein Urteil verrät, unter einer der Deckenlampen steht, die den Raum in ein weiches, diffuses Licht tauchen, in dem alles stets ein wenig besser und teurer erscheint, als es in Wahrheit ist. Aber das ist ja Dion, sagt Ute nach einer Weile, und Marga spürt einen bitteren Triumph. Viertausend Mark mindestens, erwidert sie, und du zeigst es Wiepersfürth. Dieses Mal, denkt sie grimmig, wird es nicht bei einer lobenden Erwähnung bleiben, wie damals vor drei Jahren, als die Kunststiftung einer Hamburger Bank ihr bei einem Wettbewerb diese drittklassige Auszeichnung ohne Preisgeld und Karrierefolgen zuerkannt hatte.
Du fängst dich gerade noch rechtzeitig vor dem jäh im Gras klaffenden Moorauge ab, blickst in das stille, vom Regen angeschwollene Wasser. Erinnere dich an den Abend, Dion!, scheint dir die schwarze Tiefe entgegenrufen zu wollen, darin das flüchtige Bild, in das du nun wieder eintauchst: Wie deine Mutter im Foyer des Stiftungsgebäudes die meiste Zeit neben ihrem Gemälde an der Wand gelehnt hatte, wo sie wie jemand, der sich an einer Straßenecke mit
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