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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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schleppende Lachen, das sie endlich aus ihrer Erstarrung löst, wenn du ihr beim Alter-Mann-Spiel die Wollgrasbüschel mit den Lippen ins Gesicht reibst, sondern ein kaltes und splitterndes. Es schallt aus der Ebene herüber, als du dir die Jacke vom Leib zerrst und ins Gras wirfst. Erschrocken blickst du auf, doch es warnur ein Knarren toter Hölzer im Wind, das dich trog, der hohle Ton aus der Stille, in die hinein du jetzt auch Pullover, Hemd und schließlich sogar deine Hose schleuderst. Träge versinken die Jeans in dem schwarzen, von Moosinseln durchhöckerten, im aufsteigenden Regendunst uferlos scheinenden See, zu dem du auf deinen bisherigen Erkundungsgängen noch nie vorgedrungen bist, wo überhaupt noch kein menschliches Ohr das Geflüster der Weite gehört hat, wie von feinsten Flügelschlägen über dem starrenden Wasser, das so tot und sauer ist, dass die daraus aufragenden Birken, kaum haben sie es zu krummen Stämmen und krüppligen Ästen gebracht, absterben, im Wind zerspleißen und als leer in den Himmel greifende Skeletthände an eine Jugend erinnern, die hier ohne Wachstum und Hoffnung ist, am großen Kolk, wo alle Pfade enden und die Fußspuren nur noch in den Morast hinein-, nicht aber mehr herausführen, im träge pumpenden, von Binsenwällen, wie Stacheldraht ineinander verzwirnten Gehölzen und den hartnäckigen Nebeln verschlossenen Herzen des Hochmoores, aus dem die Bäche und Gräben das Wasser ziehen, das über viele Kilometer verborgen durch die Torfschichten sickert und sich erst in den Gagelhainen und Bruchwäldern zaudernd zum Lauf des Flüsschens Jumme vereint, das am Dorfrand mäandert und weiter nach Norden, zur Elbe hin strömt, hier aber unter deinen Füßen entspringt, aus unzähligen, tief ins Erdreich hinabwurzelnden Adern am höchsten Punkt der Ebene, inmitten der aufgeworfenen Bulte, deren hartblättrige, filigran gewirkte Moosdächer wie rotgeschindelte Kuppeln langsam über das Umland hinaus in die Höhe wachsen, weniger als einen Millimeter im Jahr und so lautlos, dass das einzige und letzte Geräusch über dem nicht cola-, sondern eher bernsteinfarbenen Wasser, würde je ein Mensch nochdorthin finden, der Flug der Libellen wäre, die allein noch diese Wüste durchsirren, kein Geräusch eigentlich, eher ein mehr spür- als hörbarer Ton der Verlassenheit, jetzt, da du mit angehaltenem Atem ins reglose Wasser steigst, das unter deinem Fuß zerreißt wie eine Membran. Als du langsam, Schritt für Schritt, mit sich dunkel färbender Haut, in mich eintauchst, wird es um dich und in dir für einen Moment vollkommen still.
    Sie erinnert sich jetzt wieder genau: Wie Röcker sich an ihr vorbei aus der Kabine drücken wollte, doch sie stellte sich ihm in den Weg und blockierte den Türgriff. Spinnst du?, zischte er, lass mich raus! Sie drehte sich weg und schob das Gesicht in die Ecke, roch ihren Zigarettenatem, der gegen die Verschalung strömte, sein Aftershave auf ihrer Oberlippe, beides ekelte sie. Eine Weile hörte sie nur den Puls, der in ihren Ohren flatterte, schnelle, sich überlagernde Schläge, dann flutete wieder das Stimmengewirr aus dem Foyer heran. Irgendwo plätscherte ein Wasserhahn, jemand betätigte mehrmals den Händetrockner, plötzlich, ganz nahe, ein ratschendes Geräusch wie das Reißen von Stoff. Röcker entriegelte die Tür und stolperte davon. Sie zog sie schnell wieder zu und schloss ab.
    Was ist los, Dion?, fragte sie leise, nicht einmal beim Scheißen lässt du deine Mutter in Ruhe. Wieder das Reißgeräusch, gefolgt von einem Schaben und Strampeln, dann rutschte ein schwarzes Hosenbein in den Spalt. Warum du nicht mehr neben dem Bild aufpasst? Die Erschöpfung verzerrte den Satz, er klang mechanisch. hIch hasse hdein hBild, hörte sie dich draußen stottern, mühevoller und verquälter, als sie es sonst von dir kannte. Sie klappte den Klodeckel herunter, lehnte sich gegen den Spülkasten und schloss die Augen,verspürte den überwältigenden Drang zu schlafen, sich alldem zu entziehen. Die angstlösende Wirkung der Tabletten lullte sie ein in ein Gefühl erzwungener Gleichgültigkeit, das dennoch erlösend, ja rauschhaft war. Bald wurden ihre Gedanken lauter als die Stimmen aus der Halle. Er muss es ja hassen, dachte sie bleiern. Vielleicht hatte sie das Gemälde, das sie vor zehn Jahren begonnen und nach einer kurzen Phase fast besessener Arbeit doch wieder verworfen hatte, für diesen Wettbewerb nur fertiggestellt, damit du, Dion, deine Mutter nun

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