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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Brüsten, nicht an ebensolchen, sondern mit einem wässrigen Milchpulvergemisch abspeist, so oder ähnlich mag die Krämerin gedacht haben. Dabei hatte sie, Marga, in den ersten Wochen, die sie noch heute schmerzhaft genau erinnert, von früh bis spät und sogar nachts die Milch abgepumpt und über der Pumperei kaum mehr Kraft gefunden, das aus ihrem Leib Herausgepumpte in den leibarmen und von Tag zu Tag leibärmer werdenden Säugling, der aber nicht saugen wollte, wieder hineinzupumpen, per Schnuller aus den Fläschchen, die sich auf dem Tisch türmten, weil sie Saugstutzen an- und abdockte, als wäre ihre Küche ein Kuhstall und die Pumpvorrichtung eine Melkmaschine, die nicht nur ein einziges Menschlein, sondern ein ganzes Dorf abzufüttern und satt zu kriegen hatte, das Dorf, genauer gesagt, die nach Klatsch und Tratsch gierenden Kundinnen von Ilse Bloch, die ihre, Margas, Pumperei für mütterliche Schlamperei und das Kind derTrockenmilchmutter jetzt schon für seelisch verkrüppelt und lebensuntauglich hielten. Und tatsächlich, auch das sieht sie nun wieder ins Große und Groteske verzerrt vor Augen, lag der Junge meist reglos vor , nie zwischen ihrem tröpfelnden und unter bald unerträglichen Schmerzen die nahrhaften Tropfen aus sich herauseiternden Busen, weil du, Dion, ich muss dich hier daran erinnern, den Kopf weggedreht und die Lippen zusammengepresst hast, als wäre es bereits die Milch gewesen, die warme, weiche und fette, die dir das Wort im Mund verätzt und zersetzt hatte, bevor du überhaupt einen Ton aus dir herausgebracht hast, eine frühe Verweigerung, vielleicht Trotzreaktion, von der du nichts mehr weißt und auch niemals etwas erfahren würdest, wenn ich dir nicht an dieser Stelle die Qualen deiner Mutter ins Bewusstsein rufen würde, meine Pflicht der Wahrheit gegenüber, bevor hier unten, zwischen Torf und Schlamm, in deinem von den Säuren bereits angegerbten, bald ledrig werdenden Körper alles Wissen endgültig verdämmert, während sich um dich herum die Abfälle und Exkrete deiner verloschenen Lebenszeit, Legenden, Mutmaßungen, sogenannter Dorfschnack, zurückbleibende, jetzt unlösbar gewordene Rätsel, Jahr für Jahr aufstauen und verdichten, in Schichten aus Erde, totem Wollgras, Wasser und wieder Erde, mit der Mumie deines Leibes als Kern in einem Grab aus Halbverrottetem und längst Vergessenem, Tatsachen, die dir, dem heute Dreizehnjährigen, wenigstens einen Teil der Schuld an der ganzen Misere aufbürden sollen, denn Fakt ist, dass du, damals ein Säugling und obgleich noch frei von Kränkungen, Groll oder sogar Rachsucht, Marga in ihren Mühen und Kämpfen, dein bleiches und mageres Körperchen zu Farbe und Kraft zu bringen, buchstäblich hast hängenlassen mit ihrer schweren Last aus verschmähter Mutterliebe und einer Milch, diean deinem Mäulchen vorbeirann, wie sehr sie dich auch kitzelte und kirrte, es gibt in ihrer Erinnerung kaum einen Moment, in dem ihr dieses Mutterglück gelang, von dem so viele Frauen schwärmen, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Kind an ihre Brust legen, Dion nämlich, und sie sieht ihren Jungen wieder mit großen, irgendwie leeren Augen dort liegen, stülpte nur immer, nach endlosen Verführungsmühen, das kraftlose Mundloch auf den Nippel, nuckelte ein wenig herum und drehte sich weg; er schrie dabei nicht einmal, er ließ sie einfach abblitzen und starrte irgendwohin.
    Sie pumpte und hoffte weiter auf ein Wunder. Irgendwann wickelte sie das halb verhungerte Menschenbündel in das Mäntelchen, das ihr Marianne zusammen mit ein paar anderen ausgedienten Stramplern und Schlafsäcken geschenkt hatte, stieg vorm Laden von Ilse Bloch in den Bus und fuhr nach Zeeve zum Arzt, der eine fortgeschrittene Drüsenentzündung und bei ihrem Kind einen verminderten Saugreflex diagnostizierte, eine Funktionsschwäche der Mundmuskulatur, die, beruhigte er sie, bei Säuglingen manchmal auftrete, sich aber schon bald auswachsen würde, ohne Auswirkung auf den Sprechapparat. Er riet ihr, sofort abzustillen. Sie verließ erleichtert die Praxis und besorgte sich in der nächsten Apotheke die verordneten Medikamente, dann endlich war Ruhe.
    Trotz all der Unkenrufe aus dem Dorfladen hat sie es schließlich auch ohne Mann geschafft, ohne Vatermumm und Muttermilch das Kind durchgebracht, und sich mit ihrem Jungen im Laufe der Jahre sogar eine Art Glück zurechtgezimmert, das zwar droht in Lügen zu versinken wie das ganze Haus im morastigen Boden, sie aber doch, in

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