Moor
unheilvolle, fast erschütternde Art mit Hannes verbündete, und du schiebst dich langsam aus dem Dunkel hinter der halb offen stehenden Tür, lass ihn, der wird nichts sagen , das waren, du bist dir jetzt ganz sicher, seine Worte gewesen, und in dieser plötzlichen Gewissheit, etwas gesehen zu haben, was nur für dich bestimmt war, trittst über die Schwelle ins Licht.
Sie packt Röcker um die Hüften, hievt ihn herum und grätscht sich auf ihn; so kann sie, wenn sie das Becken kreist, Abstand, Tempo und Tiefe bestimmen. Sie legt ihm eine Hand unter die Gurgel, wo der Schweiß in die Mulde rinnt, wirft den Kopf zurück und stößt einen langen, dunklen Seufzer aus, hinüber zum Flur. Im Türloch steht ihr Junge, schwarz, fast unkenntlich, eingegossen in den Schatten. Nur seine Augen, oder ein Licht darin, stechen hervor, in sie hinein, in Brust, Bauch und Unterleib, sie zwingt seinen Blick in ihr Gesicht.
Nur widerwillig schaust du auf. Sie lächelt dir zu, in der Art, wie sie morgens beim Schwimmen unter dem abgespaltenen Ast plötzlich herüberzwinkert, nachdem sie lange ins Wasser geblickt hat; sie mag diese Stelle im Teich, wo die Spiegelungen der Erlen vom Ufer zusammenlaufen und je nach Himmelsfarbe und Bewölkung ein anderes Bild auf die Wasseroberfläche werfen.
Sie dreht Röckers Gesicht ins Kissen und seinen Blick von dir weg, dann beginnt sie zu stöhnen, lauter, zuletzt fast schreiend, wobei sie dich mit Augen fixiert wie eine ihrer unsichtbaren, in Gedanken aber schon vollkommenen Figuren auf dem blanken Papier, bis sie ihren Jungen fast weiß vor dem schwarzen Flur sieht, wie auf einer Art Röntgenaufnahme, die das vorher Verborgene und vom Fleisch Geschützte aus dem Inneren herausschält. Nur hier unten bei mir, in der Tiefe des Moors, wo der Körper sich in entgegengesetzter Richtung zum Tod, nicht von der Haut, sondern vom Herzen her auflöst, findest du plötzlich eine Stimme für das, was dir bisher unaussprechbar im Hals gesteckt hat. Am Gipfel ihres Schreis stolperst du ins Bad und vors Klo, doch wie sehr du auch drückst und quetschst, der Pinkelstrahl spritzt steil gegen den Spülkasten.
Am nächsten Morgen, so könnte das Familienbild bei Tageslicht aussehen, sitzt ihr beim Frühstück wie Eltern und Kind in jeder anderen Küche; Marga im Bademantel und rauchend an ihrem Platz, du wie immer mit der Cornflakesschüssel daneben, und auf dem Stuhl gegenüber, der im Gegensatz zu den übrigen, mit Zeitungen und Krimskrams überhäuften, stets leer war, als hätte sie ihn für einen Gast zurechtgerückt, der nie gekommen ist, verschlingt nur in Shorts und mit nacktem Oberkörper Daniel Röcker seineBrote. Er greift nach der Butterschale, du schiebst sie weg. Er greift noch einmal, du schiebst sie weiter. Gönnst du mir nicht die Butter auf dem Brot?, sagt er und grinst. Du zuckst die Schultern und blickst zu Marga. Die schneidet mit dem Messer ein dickes Butterstück ab und legt es sich auf die Zunge. Ihre Backen blähen sich, du sagst: hIhgitt, als sie von Daniels Teller die Stulle angelt und den Butterbrei draufspuckt. Daniel zieht eine Ekelfratze. Marga rückt näher an dich heran. Mein Haus, mein Kind, meine Butter, sagt sie, und du nickst und steckst erst ihr, dann dir einen Löffel Cornflakes in den Mund.
Daniel glotzt herüber, der erste Blick entsetzt, der zweite sichtlich eingeschüchtert, der letzte wieder kühn, ganz wie vom Hauptgewinner; er nimmt die Brotschnitte, leckt den Butterbrei ab und schluckt. Unterm Tisch spürst du ihren Zeh, der dich antippt, dann schiebt sich ihre Wade an dein Bein und dazwischen Daniels nackter Fuß. Der wandert hoch und verirrt sich in deinen Schoß. Du blickst an dir herab und siehst die Zehen heraufgrinsen wie Zwerge mit dreckigen Mäulern und einem spärlichen schwarzen Haarschopf. Hast du diese fünf nicht schon einmal gesehen, irgendwann früher, als kleines Kind? Einen Fuß, der breit und hoch vor dir aufragte, aus der Froschperspektive stieg die Zehenreihe steil bis zum großen Zeh an, und auf den Knöcheln sahst du einzelne Haare sprießen. Du bist darauf zugelaufen – oder zugerobbt? –, du erinnerst dich nicht an die Art der Bewegung, nur an ihr Ziel, das dieser Fuß gewesen ist, mit dem du, als du endlich angekommen warst, lange gespielt hast. Die Zehen waren zappelnde bärtige Männchen, die sich nicht fangen ließen, der Spann das Haus, aus dem sie lugten, die schrundige Sohle der Garten und der Fußknöchel ein Berg, hinter dem die
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