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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Welt begann. Dann hob dich jemandhoch, und du glaubst, dass du zu heulen begonnen hast. Den Fuß hast du nie wiedergesehen, doch du bist dir sicher, dass es der Fuß deines Vaters gewesen ist, Margas Behauptung, er sei vor deiner Geburt gestorben, zum Trotz. Oder hast du die Zehenmännchen doch nur erfunden, damit dein Vater, wenn schon kein Gesicht, wenigstens Füße hat, echte Vaterfüße mit ungeschnittenen Nägeln, Sockenflusen zwischen den Zehen und schwarzen Härchen darauf, Füße wie die von Daniel Röcker. Daniel als Vater fändest du gar nicht übel. Er kann einigermaßen gut jassen, fährt, wie er behauptet, lieber Motorrad als Auto und ist jünger als alle anderen Väter im Dorf. Du beugst dich hinunter und schnupperst am großen Zeh, glaubst, dich jetzt sogar erinnern zu können, dass auch damals der Fuß deines Vaters nach altem Putzlappen gerochen hat.
    Marga prustet los. Ihr spinnt doch, ruft Röcker, wirft das Butterbrot hin und springt auf. Außerdem müsse er los, und er steigt in die Jeans, die umgestülpt auf dem Küchenboden steht wie eine rätselhafte Skulptur. Fragt, ob er den Wagen nehmen könne. Marga hascht nach der angebissenen Butterstulle, beißt ab und kaut ein Nein. Sie blickt auf die Uhr, der Bus gehe in zehn Minuten. Miststück, knurrt er herüber, dann ist er aus der Tür.
    Soll er wiederkommen?, fragt sie in die Zigarettenrauchwolke, während ihr nebeneinander auf der Veranda steht. Daniel, den du schon fast zu mögen begonnen hast, nicht wegen der Füße, eher wegen des Motorrads, seines Versprechens, mit dir ans Meer zu fahren, und weil er dich nicht wie Marga mein Junge , sondern einfach Kumpel genannt hat, der Mann, der dein neuer Vater hätte werden können, ist nur noch ein verschwommener Punkt am Ende des Heidedamms, derzwischen den langen Häuserschatten auf der Dorfstraße bald zerfließt. Die Sonne steht tief, buttergelb über der tauglitzernden Ebene. Der Regen ist in der Nacht abgezogen, der Himmel jetzt wolkenlos, das Moor überwölbt von einem hohen, pastellblauen Zelt mit gläserner Luft und dem Geruch von Erde und nassem Laub. Doch das Licht ist ein anderes als noch in den Tagen zuvor, hat an Leuchtkraft verloren, als hätte der Regen alle Farben ausgewaschen, die jetzt von einem Grau- oder Braunstich wie infiziert sind, und selbst an den rotglänzenden Äpfeln drüben im Baum, die du längst hättest abernten sollen, nagt schon der Herbst als diese Art Müdigkeit oder Mattheit, ein allgegenwärtiger Schatten, der sich ab September aus den Wäldern, Wiesen, Früchten und letzten Blumen, aus der Mitte des Sommers heraus durch die Dinge langsam nach außen frisst.
    hWillst hdu, hdass her hwiederkommt?, hauchst du, und Marga blickt dich lange an. Er hat ein gutes Gesicht, der Junge, denkt sie, schmal geschnitten wie das seines Vaters, doch mit viel feineren Zügen, ohne diesen bäurischen Einschlag, der seine Schönheit als Schlichtheit entlarvte, wenn sie sich leidenschaftlich stritten oder liebten und sein ebenmäßiges Gesicht sich in jäher Gefühlsaufwallung verzerrte, beides Momente, in denen sie spürte, dass sie den Mann, mit dem sie gerade zankte oder schlief, nicht liebte, weil sie so nah und nackt seine plötzliche Hässlichkeit nicht ertrug.
    Soll er bleiben, wo der Pfeffer wächst, sagt sie, und du fragst dich, wo dieses Land eigentlich liegt, in deiner Vorstellung ein staubiges, verbranntes oder sogar brennendes unter einer zornglühenden Sonne, wohin der Volksmund die Menschen schickt, die man nicht mehr um sich haben möchte. Sie wickelt den Gürtel des Bademantels fester um den Finger, zieht den Knoten auf. Immerhin konnte er klapperjassen, sagt sieund tritt zurück in die Diele. hAber hich hkanns hbesser, erwiderst du, der Satz dauert und dauert, hängt in der Mitte hartnäckig am K fest, die Pointe hat sie verpasst; als du dich umdrehst, steht sie mit offenem Bademantel auf der zweiten Stufe und blickt über dich hinweg in die Ebene, hinüber zum Teich, und für einen Moment ist dir, als blinzelte sie dort irgendwem zu. Dann lässt sie, wie sonst am Ufer, kurz bevor sie ins Wasser steigt, den Stoff über die Schultern rutschen, streckt die Hand nach dir aus und sagt: Kommst du?
    Doch noch hat sie das Bild nicht begonnen; hier, in Hamburg, mit der Hand am Zündschlüssel, im Schlepptau den Maler, ist es weniger als eine Idee. Auch beim dritten Versuch tut der Motor keinen Mucks. Was das für eine Hure von Auto sei?, sagt Röcker und blickt sich im

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